Kunst muß
erzählen Eberhard Wagner Hier befinden Sie sich in der Gastsektion von Eberhard Wagner, bekannter Romanautor und Denker in Österreich. Sein Roman "Helena - das Gute ist, was bleibt", kann besonders zum Kauf empfohlen werden: ISBN 3-85165-360-2 im Passagenverlag Wien 2000. Eberhard Wagner (Schriftsteller): Ein herzlicher Dank ergeht an ihn für den folgenden Beitrag zur zusätzlichen Veröffentlichung auf www.padre.at: Herr Wagner, warum schreiben Sie? Die Frage ist ungefähr gleich sinnvoll wie die an den Tischler, warum er Bänke baut. Sein Metier ist eben das Tischlern, meines das Wort. Der Unterschied liegt im behandelten Gegenstand und den Voraussetzungen, die sie benötigen. Also vergleichen Sie sich mit einem Handwerker? Ja. Insoferne wehre ich mich gegen eine Romantisierung des Künstlers. Dieses unselige Erbe schadet den Künstlern ungemein. Denn sie versuchen häufig ein Bild zu werden und meinen, dann erst schreiben bzw. gut schreiben zu müssen. Aber sie stehen sich damit im Wege, denn wie schon Goethe bemerkte kommt der entscheidende Kick erst dann wenn man begreift, daß man schreibt weil es eines Natur ist, nicht weil man Kunst produzieren möchte - das ist ein immanentes Geschehen. Kunst also als zufälliges Produkt der Tätigkeit? In einem gewissen Sinne: Ja. Was nicht heißt, daß jeder der schreibt Kunst produziert. Der es aber tut weiß es nicht wirklich, für ihn gibt es nur das Kriterium gelungen oder nicht gelungen, seinen Maßstäben gerecht oder nicht. Künstler zu sein ist immer eine Begabung, von der der Begabte am allerletzten erfährt. Die Beurteilung, ob etwas ein Kunstwerk ist oder nicht obliegt dem Kritiker, dem Betrachter. Der Künstler trägt seine Kriterien in sich, ist sich gewissermaßen selbst Maßstab, er hat keine andere Wahl - das ist Krönung wie Crux seiner Zunft. Und so verstanden ist er unendlich frei, unterliegt strenggenommen nicht einmal der Moral. Wenn er zu dieser Radikalität nicht findet bleibt er eine arme Knackwurst. Somit plädieren Sie für eine Willkür der Formen in der Kunst? Keineswegs! Die Formen sind eine der Wirklichkeit abgerungene Spiegelung, ihre jeweiligen Eigenarten beziehen sich auf Eigenart und Sinn der Wirklichkeit. Somit wehre ich mich auch gegen den Ästhetizismus. Hier ist es Zeit das Kriterium der Erzählung als Eigentümlichkeit des Erkennens und damit des Lebens anzusprechen: Jede Kunstform ist eine Form des Erzählens, weil auch die Wirklichkeit sich erzählend preisgibt. Schon die Worte sind ja beschreibende Festhaltungen von den Dingen inhärenten, diese in die Welt hinaustreibenden Eigenschaften. Darin liegt auch der Anspruch auf Wahrheit und Schönheit von Kunst begründet. Keinesfalls darf dabei Schönheit als ästhetisierende Behübschung verstanden werden, sondern dieser Begriff ist nur vor dem Hintergrund verstehbar, daß nichts, was es gibt, nichts, das Sein hat, "schlecht" sein kann! Häßlichkeit ist stets nur ein Mangel an Vollkommenheit im Selbstvollzug, denn alles was etwas ist will seiner Art gemäß wirklich sein. Was ist überhaupt Kunst? Und welche Rolle spielt der Künstler dabei? Schon die scheinbare Notwendigkeit einer Kunsttheorie halte ich für ein Krankheitszeichen. Wenn ich dennoch sage, daß Kunst die explizite Schönheit des Wahren im Guten ist kann das nicht verstanden werden, wenn man nicht weiter ausholt: Nämlich beim Sinn der Schöpfung beginnt, der darin liegt, daß der liebe Gott den Menschen an sich teilhaben lassen wollte. Der Mensch hat über das Erkennen am Leben Gottes teil sowie an dessen Eigenschaftlichkeiten. Diese lösen wir im Erkennen über die Sinne ab. Erst die Erbsünde als Erkenntnisbruch schuf die Möglichkeit zur Nicht-Kunst, zum Profanen. Kunst knüpft also an das Paradies an. Der Künstler ist als Raum und Zeit bedingtes Wesen fleischlich geformt, trägt in sich Eigenschaftlichkeiten, hat aber keine dezidierte Figur einzunehmen, ist also nicht primär nützlich - er ist Asket. Er trägt die Bilder seiner Umwelt in sich, die sich in ihm entfalten und reiben, ohne von ihnen zu kosten. Er kann dazu - wenigstens als junger - keine Figur sein, die sich an Archteypen formen könnte, damit er in die Lage kommt, sich von allem zu distanzieren. Er ist also eine Art Seismograph der welttragenden Kräfte, nicht bloßer Faktenerfasser. Er stellt purifiziert dar, was er in der Vergangenheit gesehen hat, läßt zeitbedingten Schein abfaulen wie die Schalen einer Kastanie. Insofern ist er aktuell, aber wie Doderer sagt: Immer einen Schritt hintennach. Deshalb hat er in sich eine besondere Berufung zur Wahrheit, die Voraussetzung für die Schönheit und Vollkommenheit seiner Darstellung ist. Da erst wird es zur Frage des Talents. Aus diesem Grund finden sich auch zwei Typen vom guten Künstler: Der besonders naive und der besonders gescheite Talentierte. Ein Mittelding gibt es nicht, bzw. produziert das Mittelmaß eben Mittelmaß. Wo er Ideologie schon gar ernsthaft einzubringen versucht versagt er. In der Kunst finden sich somit abstrahierte, einerseits vom Konkreten abgelöste, anderseits eben im Konkreten nur darzustellende Züge der Welt. Der Künstler wird mit der Zeit zu einem fleischlichen Bündel der Abstraktionen, der Grundzüge der Welt, aus denen sich mehr und mehr Gestalten rekrutieren. Er hat keine andere Aufgabe als immer wahrer zu werden. Deshalb auch ist er zu besonderer Gottähnlichkeit berufen und begabt: Er wird immer universaler, trägt alles in sich, kann alles zeugen. Je klarer erkennbar, also gegenständlich vollkommener ein gültiges, weltformendes, raumgreifendes Allgemeines sich dargestellt findet, umso größer ist das Kunstwerk, das Welt tatsächlich nachschafft. Kunst kann somit reiner sein als die faktische Wirklichkeit, und sie hat die immanente Funktion, die Welt der Wahrheit, Schönheit anschaubar zu bewahren, als gewissermaßen Regenerationsstelle des ewig Gültigen für die Menschen. Denn der Mensch ist nach Formen, Bildern gemacht, deren Liturgie die Kunst ist. Der Betrachter hat somit in der Konsumation Anteil an diesem Ewigen, das in ihn übergeht, sein Sein kräftigt. Die Frage nach der Wahrheit der Kunst ist somit eine Frage nach der Wahrheit des Künstlers. Wobei ich das alles sage ohne den Anspruch zu erheben, diesem Ideal schon gerecht zu werden. Warum muß dann Kunst erzählen? Sie sprechen ja selber von Bildern? Weil sich Erkenntnis aus der Bewegung ablöst, aus der Minimalspannung der zeitlichen Abstände. Aus der Dauer wird das Wirken eines Dings und damit seine Eigenschaft ablesbar. Bewegung ist also in erster Linie als Selbstvollzug in der Beziehung zum vorhandenen Wirkenden zu verstehen. Somit sind wir bei den Kriterien der gestalthaften Erkennbarkeit und damit Identifikationsmöglichkeit. Wo diese fehlt haben wir es nicht mit Kunst, sondern mit Unsinn zu tun. Natürlich setzt dies eine Weltsicht voraus, die den Dingen ein im Prinzip unveränderliches Wesen unterlegt, das nach Entelechie drängt, sowie einen prinzipiell freien menschlichen Willen - daraus ergibt sich ja Handlung und Drama. Sie lehnen also abstrakte Kunst ab? Ich lehne gar keine Kunst ab - entweder ist sie Kunst oder nicht. Und ich bin auch gegen platt abbildenden Naturalismus, der auch nicht Kunst ist. Vieles, das uns als Kunst verkauft worden ist, ist gar keine, das ist das Problem. Damit hat man der Kunst und ihrer gesellschaftlichen Rolle sehr geschadet. Kunst bemißt sich nach dem, was sie darstellt und dem, wie sie es vermag. Sie ist in gewisser Weise kein Ding an sich, an dem sich experimentieren ließe, also blanker Formalismus. Sie wird auch dort nicht zur Kunst, wo sie Ideologien einbringt, Interpretationen also, die von einer Sollensidee ausgehend die Wirklichkeit dahingehend interpretieren. Ohne Wahrheit ist Kunst nicht denkbar., und Wahrheit ist das einzige, das sich nur aussagen, aber jederzeit verifizieren läßt, an die nicht auf irgendeine fideistische Weise geglaubt werden muß und die der Alltagserfahrung widerspricht. Sie kann die Einzelerfahrung bei weitem übersteigen, insoferne den Betrachter erweitern, und gute Kunst tut das auch, aber der sens ratio nicht in strengem Sinne widersprechen. Wo Kunst ihre Erkennbarkeit grundsätzlich verliert da hat sie sich selbst verloren. So gesehen sind unsere Museen voll mit Dekorstücken. Viele der heutigen Künstler oder die sich für solche ausgeben spekulieren mit dem Effekt des Unbekannten, lediglich Interessanten - das grundsätzlich ja nicht zu beurteilen ist. Und so mancher kommt einem böswilligen Betrüger schon recht nahe: Sie täuschen Welt vor. Aber wie ich schon sagte: Der Künstler muß in sich das Prinzip der Welt tragen, also Wahrheit, und nur insofern ist er auch wahr in seinem Werk. Wenn Experiment, dann hat es seine Notwendigkeit nur in Bezug auf das Ringen um immer bessere und zeitlichere Darstellung dessen, worauf er sich bezieht. Jeder muß seinen eigenen Ausdruck finden. Wahrheit ist universal, ihre Ausformung aber ist individuell und ihre Gestalt hat eine Zeitkomponente. Das macht Kunst prinzipiell unerschöpflich. Also wird doch Neues? "Neues" wird im Sinne von "Weiterwerden" in der Vervollkommnung von Eigenschaften, diese Sehnsucht als Sehnsucht nach Teilhabe an Gott, also nach Ewigkeit liegt im Menschen und in allem Lebendigen. So verstanden kann man von "neu" sprechen, es wird ja tatsächlich etwas geschaffen. Die Phantasie ist dabei nicht das entscheidende, sie ist leer, keine Kraft zur "creatio ex nihilo". Ihre Gegenstände sind entscheidend, und die sind der Welt des Bekannten entnommen, die die Phantasie je nach Herzenskräften neu zusammenstellen oder auseinandernehmen. Man verwechselt heute vielfach Kreativität mit Formlosigkeit, Uferlosigkeit, Konturlosigkeit, die eher hysterisch denn kreativ zu nennen ist. Alles "Neue" sieht nur so aus, als wäre es neu - es ist Bekanntes, das lediglich in einem Zusammenhang geordnet ist, der bisher nicht so auftrat, aber wirklich schon vorhanden und erfahrbar war und sich nun in eine Gegenwart hinein gestaltet. Selbst in der Technik können Sie das beobachten: Der Mensch schafft "neu", was in ihm schon vorhanden ist, nach seinem Abbild, sonst kann man nicht von Schaffen sondern muß von Zufall sprechen. Was "neu" ist muß eben "etwas sein", eine Frage, die ja bei der Konsumation vieler heutiger Kunstwerke eine große Rolle spielt. Wobei ich die Verfremdung hier ausklammern will - denn es wird etwas oft erst sichtbar, wenn es fehlt. Aber Sie erfinden ja auch ihre Figuren? Nur in einem gewissen Sinn - so kommen sie natürlich nicht vor, wie sie da beschrieben werden. Aber sie alle tragen von irgendwoher aus Beobachtungen gestohlene Eigenschaften, die ich an ihnen darstelle. Und zwar weil diese Figuren in mir zu leben anfangen, ich gar nicht mehr unterscheiden kann, ob sie real oder nicht sind. Ich rede, lebe, streite mit ihnen oder verliebe mich gar in sie. Im Schreiben stellen sie sich dar, woraus ersichtlich wird, was sie tun, nicht was ich dabei will. Ich gehe Wahrgenommenem also gewissermaßen nach, warum ist nicht bedeutend. Kann man ihrem letzten Roman "Helena oder: Das Gute ist was bleibt" entnehmen, daß Sie für eine psychologische Literatur plädieren? Aber überhaupt nicht, im Gegenteil. Die heute als solche verstandene Psychologie ist ja nur ein Erklärungsmodell, das aber einfach hinten und vorne zu kurz ist und von einer Weltanschauung ausgeht, die der komplexen Wirklichkeit nicht gerecht wird. Doderer nennt sie einmal eine "Erkrankung des Geistes," das kommt auch meiner Ansicht recht nahe: Heil wird man nur in einer Offenheit dem Begegnenden gegenüber, frei nur durch Wahrheit. Wenn heute ein Roman etc. als psychologisch erscheinen muß förmlich dann deshalb, weil das Handeln der Menschen sich verändert hat: Alles hat sich nach Innen verlegt, wir leben im wahrsten Sinne virtuell, pseudologisch, wie es Doderer nannte. Somit kann man das Heute nur darstellen, wenn man diese Gedankenebenen sieht und berücksichtigt. Handlung wird durch diese Verwirrtheit permanent verhindert, verkommt zum "Tun". Wir haben es heute mit starren, fast toten Menschen und Vorgängen zu tun, die innerlich abgefangen werden. Impotenz also zum Quadrat. Wir denken nicht mehr, sondern "werden gedacht." Das liegt einmal am fehlenden Vermögen, Ziele zu gewichten und auch überaktuell zu verfolgen, ein andermal an der immer größer werdenden Furcht vor der Wirklichkeit und Wahrheit Die Menschen erstarren in der Furcht etwas falsch zu machen und im Mißtrauen, die Wirklichkeit könnte sie übervorteilen. Dann handeln sie nach scheinbaren Sicherheitsregeln, um nur ja das gewünschte Resultat zu erzielen. Es kommt nicht darauf an viel zu tun, sondern das Richtige. Diese Kunst aber, die eine Frage des Gewissens ist, haben wir verlernt, dazu sind wir zu viel sinnlos informiert und doch nicht gebildet, und sie ist nur in tugendhafter Unschuld auszuüben, das ist nicht mehr rückgängig zu machen. Wir können fast nur noch resignieren im Faktischen und Solitären. Sie sind also Kulturpessimist? Keinesfalls, sondern Realist - und da kann man gar nicht anders als einen völligen Niedergang vorherzusagen, dazu braucht man keine besondere Intelligenz und Bildung. Warum schreiben sie doch noch? Wollen Sie die Welt noch retten? Erstens ist man als Romanschreiber
sowieso ein armer Hund: Es dauert Jahre, bis man was fertig hat,
und in denen man sich täglich neu durchringen muß. Das
ist in Zeiten, wo sich in einem das Werk das man dann gebiert in
den Figuren erst formt besonders hart. Diese Figuren aber lassen
einen nicht mehr ruhen, die wollen auf die Welt kommen. Zweitens
aber weil ich mich eben zum Schriftstellersein durchgerungen habe,
was sollte ich also sonst tun? Möbel verkaufen? Drittens -
und das ist tagtäglich am schwersten zu leben - kommt es
nicht darauf an, wie der Erfolg ist oder was herauskommt, sondern
auf das beständige Anstreben des Guten und Richtigen, danach
werde ich einmal vor dem Richter bemessen. Ich habe nicht die
Gnade einer Bewahrtheit, wie sie bei manchen lokalen oder älteren
Künstlern durchaus noch anzutreffen ist. Ich bin mit den
Menschen verblutet, und genauso neurotisch wie alle. Deshalb
besteht meine Arbeit auch zum überwiegenden Teil in einem
distanzierenden Freikämpfen von Lüge und Selbstbetrug,
in einem immer weitergehenderen Wahrwerden, und das ist schon
verdammt schwer, denn man wird ja zu jeder Stunde regelrecht
überschwemmt mit Idiotie. Das ist aber die eigentliche
Berufung des Künstlers, ob er es heute noch zum Meisterwerk
bringen kann oder nicht, und ob das verstanden wird oder nicht. |
Padre Alex (Gastgeber):
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