Darstellung einer thomistisch inspirierten Theorie des "primären" und "sekundären" Naturrechts als gleichzeitige Untersuchung ihrer Anhaltspunkte beim hl. Thomas selbst. Triplex est gradus praeceptorum moralium. (Vgl. Sum. Theol. I-II, q. 100, a. 11)

Abschlußarbeit für das Seminar "Ius naturale" von Univ.-Prof. Dr. Wolfgang WALDSTEIN im ANNUS ACADEMICUS 1997 - 1998 / Rom, am 5. Mai 1998. - Eine gewisse Aktualisierung durch Behandlung verwandter Fragen und erweiterte Fortführung durch Einbezug dogmatischer und kanonistischer Aspekte liegt mittlerweile im wissenschaftlichen Kommentar Anmerkungen zu neueren pastoralen Hinweisen der Diözesanbischöfe von Wien und Regensburg für wiederverheiratete geschiedene Gläubige vom 14. Oktober 2004 vor.

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(Vizeoffizial Mag. theol. Mag. theol. Dr. iur. can. Alexander Pytlik)


INHALTSVERZEICHNIS


I. EINFÜHRUNG


II. THOMISTISCH INSPIRIERTE THEORIE EINES "PRIMÄREN" UND "SEKUNDÄREN" NATURRECHTS

II./1. Einleitende Anhaltspunkte bei Thomas zur Erkennbarkeit und Einteilbarkeit des Naturgesetzes bzw. Naturrechtes

II./2. Das "primäre" Naturrecht: primäre (evidente) und sekundäre (leicht erkennbare) Prinzipien oder Direktiven

II./3. Das "sekundäre" Naturrecht: tertiäre (erforschbare) Prinzipien des Naturrechts

II./4. Zusammenfassende Folgerungen aus der getroffenen Naturrechtseinteilung sowie weiterführende Überlegungen zur konkreten Erkenntnis und Applikation

II./5. Betrachtung der Naturrechtseinteilung im konkreten positiven Recht


III. ANMERKUNGEN ZUR ALTEN FRAGE DER DISPENSIERBARKEIT  SEITENS EINES KOMPETENTEN GESETZGEBERS

III./1. Anmerkungen zu Fällen uneigentlicher "Dispens" vom Naturrecht (allgemein und speziell im Alten Testament)

III./2. Diskussion einer eigentlichen Dispens vom (ehelichen) Naturrecht durch Gott bzw. einen Stellvertreter Gottes (unter besonderer Berücksichtigung der aktuellen kirchlichen Dispenspraxis)


IV. SCHLUSSWORT


V. BIBLIOGRAPHIE


VI. ANMERKUNGEN



I. EINFÜHRUNG

Bei vielen Naturrechtsdenkern finden wir theoretische Ansätze zu einem "primären" und "sekundären" Naturrecht, wobei mit diesen Bezeichnungen in dieser Arbeit nicht das Naturrecht vor (Naturrecht des "Urstandes") und nach dem Sündenfall (Naturrecht der "gefallenen Welt") angesprochen ist(1), sondern das Naturrecht vom Blickwinkel seiner gegebenen natürlichen Erkennbarkeit (bzw. graduell unterschiedlich gegebenen Notwendigkeit) und schließlich im Zusammenhang mit seiner eventuell gegebenen Dispensierbarkeit her betrachtet werden soll. Auch die Auffassung, daß über diese Thematik schon zu viele berühmte Forscher geschrieben hätten, oder die Annahme, daß es diesbezüglich eine derartige Fülle an Meinungen zu geben scheint, sodaß bei nicht wenigen Studierenden eine allzu große Unklarheit bezüglich einer realitätsnahen Naturrechtseinteilung entstanden sein dürfte, sind nicht Hinderungsgrund, sondern vielmehr Ansporn, der Frage auch beim hl. THOMAS VON AQUIN selbst nachzugehen, um bei einer echten Klärung mitzuhelfen.(2) Der Titel der Arbeit gibt jedoch von vornherein zu, daß bei THOMAS selbst die Begriffe "primäres Naturrecht" oder "sekundäres Naturrecht" offensichtlich nicht buchstäblich zu finden sind. Die Arbeit wird jedoch aufweisen können, warum diese Einteilung inhaltlich als legitim betrachtet werden kann, auch wenn von THOMAS her niemand an diese gängige Einteilungsterminologie im wörtlichen Sinne gebunden sein wird. Ebenso wurde nicht nachgeforscht, wann die Begriffe eigentlich zum ersten Mal buchstäblich verwendet wurden.

Die Stellen bei THOMAS wurden im Rahmen der zeitlichen Möglichkeiten direkt konsultiert, soweit sich dies aus der genauen Quellenangabe in der Bibliographie ergibt. Darin nicht enthaltene Stellen wurden von Johannes MESSNER und Reginaldo M. PIZZORNI übernommen, die sich als diesbezüglich äußerst zuverlässige Quellen erwiesen haben. Die lateinischen Sätze und Zitate haben wir kursiv gesetzt, auch wenn dies bei den genannten Autoren nicht der Fall war. Zudem haben wir versucht, sämtliche Namen besonders hervorzuheben, und dies auch im Falle von Zitaten.



II. THOMISTISCH INSPIRIERTE THEORIE EINES "PRIMÄREN" UND "SEKUNDÄREN" NATURRECHTS

II./1. Einleitende Anhaltspunkte bei Thomas zur Erkennbarkeit und Einteilbarkeit des Naturgesetzes bzw. Naturrechtes

Für THOMAS ist zunächst klar, daß Gott allein das Naturgesetz in seiner ganzen Dimension perfekt kennt - die Menschen können es nur unvollkommen kennen, insofern sie nämlich am ewigen Gesetz Gottes "secundum proportionem capacitatis humanae naturae"(3) teilhaben. In der Sum. Theol. I-II, q. 91, a. 3, ist er weiters der Ansicht, daß die das Gute betreffenden allgemeinsten sittlichen Prinzipien Gegenstand unmittelbarer Einsicht, Evidenz, sind und eines Beweises weder bedürfen noch fähig sind; diese Prinzipien der praktischen Vernunft sind wie die der spekulativen indemonstrabilia, naturaliter cognita.(4) Unter diesen elementaren (primären, erstrangigen) sittlichen Prinzipien sagt das oberste: Das Gute ist zu tun, das Böse ist zu meiden (oder: die rechte Ordnung ist einzuhalten, im Sinne von THOMAS' rectitudinem servare, In III Sent., d. 37, q. 1, a. 4). Unmittelbar einsichtig sind auch noch (sekundäre, zweitrangige) Prinzipien, die eine etwas weiter gehende Überlegung hinsichtlich der Natur des Menschen und der Ordnung des Gemeinschaftslebens voraussetzen, eine Überlegung, die sich schon der voller entwickelten Vernunft des jungen Menschen mit der Ausweitung seiner Erfahrung aufdrängt.(5) Es sind die sittlichen Wahrheiten, daß Diebstahl und Lüge, Ehebruch und Unzucht in sich böse sind. Dieser Bereich der sekundären Prinzipien bildet nach THOMAS den Inhalt des Dekaloges, ausgenommen das dritte Gebot, welches positives göttliches Gesetz ist.

In der Sum. Theol. I-II, q. 94, a. 6, lesen wir nun: "Ad legem naturalem pertinent primo quidem quaedam praecepta communissima, quae sunt omnibus nota: quaedam autem secundaria praecepta magis propria, quae sunt quasi conclusiones propinquae principiis. Quantum ergo ad illa principia communia, lex naturalis nullo modo potest a cordibus hominum deleri in universali. Deletur tamen in particulari operabili, secundum quod ratio impeditur applicare commune principium ad particulare operabile, propter concupiscentiam vel aliquam aliam passionem, ut supra [q. 77, a. 2] dictum est. Quantum vero ad alia praecepta secundaria, potest lex naturalis deleri de cordibus hominum, vel propter malas persuasiones, eo modo quo etiam in speculativis errores contingunt circa conclusiones necessarias; vel etiam propter pravas consuetudines et habitus corruptos; sicut apud quosdam non reputabantur latrocinia peccata [cfr. a. 4], vel etiam vitia contra naturam, ut etiam Apostolus dicit, Ad Rom. 1,23 ss." (Hervorh. v. Verf.)

Alle Menschen kennen daher das Naturgesetz wenigstens gemäß seiner allgemeinsten Prinzipien, welche niemand ignorieren kann, der den rechten Vernunftgebrauch besitzt, weil sie sich nämlich als absolute Imperative, als immer und überall gültig, manifestieren. Die anderen Prinzipien können mehr oder weniger unbekannt bleiben gemäß Alter, Erziehung, Zeit und Ort, und nur unter diesen Aspekten erscheinen sie als "veränderlich". Mit anderen Worten, es gibt Moral- und Rechtsprinzipien, die eindeutiger sind als andere, welche sich nämlich kraft des Menschseins selbst als konstante Direktiven des Handelns kategorisch aufdrängen.

Um sogleich zu einer übersichtlichen Unterscheidung der verschiedenen Bereiche des Naturrechts (mit dem Blickwinkel ihrer Erkennbarkeit und ihrer wohl damit anzunehmenden Notwendigkeit für den Menschen im Hinblick auf seinen eigentlichen Zweck) im Sinne des hl. THOMAS zu kommen, wollen wir hier noch Sum. Theol. I-II, q. 100, a. 11, anführen: "Triplex est gradus [praeceptorum moralium]. Nam quaedam sunt certissima, et adeo manifesta quod editione non indigent: sicut mandata de dilectione Dei et proximi, et alia huiusmodi ..., quae sunt quasi fines praeceptorum; unde in eis nullus potest errare secundum iudicium rationis. Quaedam vero sunt magis determinata, quorum rationem statim quilibet, etiam popularis, potest de facili videre: et tamen quia in paucioribus circa huiusmodi contingi iudicium humanum perverti, huiusmodi editione indigent; et haec sunt praecepta decalogi. Quaedam vero sunt quorum ratio non est adeo cuilibet manifesta, sed solum sapientibus: et ista sunt praecepta moralia superaddita decalogo, tradita a Deo populo per Moysen et Aaron:"(6) Und so erkennen wir bereits ohne Probleme bei THOMAS selbst 1. völlig evidente Direktiven (certissima) wie die Gebote der Gottes- und Nächstenliebe; 2. konkretere Direktiven (magis determinata) wie Gebote des Dekalogs und 3. Direktiven quorum ratio non est adeo cuilibet manifesta, sed solum sapientibus so wie z. B. weitere dem Dekalog hinzugefügte Gebote. Und so beginnen wir bereits an dieser Stelle mit der damit vornehmbaren Einteilung, die sich im Titel der Arbeit angekündigt hat. Die folgende Gliederung scheint jedenfalls die der ganzen Naturrechtsethik seit THOMAS geläufige.(7)

II./2. Das "primäre" Naturrecht: primäre (evidente) und sekundäre (leicht erkennbare) Prinzipien oder Direktiven

Die primären und sekundären Direktiven als dem primären Naturrecht zuzählbar enthalten die von sich aus bekannten Gebote, die allgemeinsten Regeln, oder jenes Minimum an Regeln des Guten und Gerechten, ohne das die moralische Ordnung nicht aufrechterhalten werden könnte, sodaß dieselben Direktiven evident sind oder eine kurze Reflexion genügt, um sie verstandesmäßig zu erkennen. Es sind jene Direktiven, die zur Bewahrung des eigenen Seins und der eigenen Art sowie zur Entdeckung der Wahrheit und zum Sozialsein führen, Direktiven also, bezüglich derer es - wie schon gesagt - sehr schwer möglich erscheint, daß der sachlich-natürliche "Orientierungssinn" vollkommen ausfällt. Deshalb begeht THOMAS nicht nur nicht den Fehler, ein vollendetes und perfektes System des Naturgesetzes bestimmen zu wollen, sondern er beschränkt sich auch schon auf die Angabe der fundamentalen Tendenzen, welche es verfolgt. So hat z. B. das Prinzip "bonum est faciendum" in der Moral denselben Platz wie das Widerspruchsprinzip in der Philosophie. Das erste Prinzip des Naturrechts ist daher für THOMAS sehr allgemein gehalten: "Bonum est faciendum et prosequendum, et malum vitandum." (Sum. Theol. I-II, q. 94, a. 2). Und dieses Gesamt von Direktiven, welche das Gewissen leiten, wird bewahrt vom menschlichen Geist - genauer gesagt - vom praktischen Verstand, ja es konstituiert die Synderese, d. h. den "habitus continens praecepta legis naturalis"(8), und umfaßt diese allgemeinsten Direktiven sowie ihre unmittelbar folgenden Konklusionen, d. h. all jene Prinzipien, die zum sittlich Guten, ob nun individueller, familiärer oder sozialer Natur, absolut notwendig sind.

Zum primären Naturrecht gehören also zunächst 1. die prima principia communia, die als allen evident und somit certissima angesehen werden müssen, sowohl quoad se als auch quoad nos, wie z. B. das bereits genannte erste und höchste ethische Prinzip und die anderen evidenten Prinzipien "Liebe Gott, den Herrn, und deinen Nächsten!"; "Füge den anderen nicht etwas zu, was du selbst nicht wolltest!", "Fürchte Gott und beobachte seine Gebote!"; "Man muß jedem das Seine überlassen oder geben!", "Erfülle deine Pflicht!", "Bewahre die Seinsordnung!", "Strebe nach dem letzten Ziel!" ...

In bezug auf diese Prinzipien oder Direktiven wird weder Ignoranz noch Irrtum zugestanden, insofern wir sie nämlich "per inclinationem naturalem"(9) bzw. (rechtverstanden) intuitiv erkennen müßten, auch wenn es sich nicht um an sich angeborene Prinzipien handelt.

Zum primären Naturrecht müssen wir im Geiste des hl. THOMAS also zweifellos auch 2. die unmittelbaren bzw. notwendigen Konklusionen ("quaedam propria") zählen, wie z. B. das Tötungsverbot vom allgemeinen sittlichen Prinzip "Man darf niemandem Böses zufügen!" abgeleitet herkommt. Es handelt sich in gewisser Weise schon um erste Applikationen (magis determinata) der Fundamentalprinzipien, die in allgemeinerer Form anzeigen, was das Gute und was das Böse ist; mit einem Wort, wir stehen - wie schon gesagt - vor dem wesentlichen Inhalt der zehn Gebote.(10)

Diese Normen, welche durch deduktives Denkvorgehen, d. h. als notwendige Konklusionen aus den höchsten Prinzipien des Naturgesetzes herkommen, gehören zweifelsohne noch substantiell zum Naturgesetz und befehlen das Gute und verbieten das in sich Böse; auch wenn diese hergeleiteten sekundären Direktiven nicht von einer menschlichen Autorität gesetzt (bestätigt) würden, hätten sie Gesetzeskraft. Daher sind Mord, Diebstahl, Meineid, Ehebruch nicht Verfehlungen im Recht, nur weil das positive Gesetz es so festgelegt hätte, sondern das positive Gesetz hat diese Delikte verboten, unter Festlegung konkreter (höherer) Strafen, weil diese Delikte in sich ungerecht sind und keine menschliche Konvention, kein Dekret sie in Wirklichkeit jemals erlaubt machen könnte. Es handelt sich also um Prinzipien (und dann um Gesetze), die tatsächlich vom Naturgesetz per modum conclusionis kommen, also nicht durch unmittelbare Intuition, sondern auf kurzem diskursiven, denkerischen Weg - es handelt sich um direkte Konsequenzen des Naturgesetzes, welche offensichtlich wesentliche Teile jenes Bereiches umfassen, der im antiken Rom und im Mittelalter als ius gentium(11) bezeichnet wurde, weil dasselbe ohne bekannten Protest allen zivilen Nationen gemein war. Ihren hauptsächlichen Wert, ihre Gültigkeit leiten diese Bestimmungen jedenfalls von jener Strenge her, mit der sie aus den Prinzipien des Naturrechts abgeleitet wurden.(12)

An dieser Stelle wollen wir das Wort wieder THOMAS selbst geben (Sum. Theol. I-II, q. 94, a. 5): "Quantum ad prima principia legis naturae, lex naturae est omnino immutabilis. Quantum autem ad secunda praecepta, quae diximus esse quasi quasdam proprias conclusiones propinquas primis principiis, sic lex naturale non immutatur quin ut in pluribus rectum sit semper quod lex naturalis habet. Potest tamen immutari in aliquo particulari, et in paucioribus, propter aliquas speciales causas impedientes observantiam talium praeceptorum"(13). Im Hinblick auf diese Konklusionen sollte es also weder unbesiegbare Ignoranz noch einen solchen Irrtum geben ut in pluribus. In manchen Fällen jedoch, ut in paucioribus, kann sich ausnahmsweise ein Irrtum beim Menschen einschleichen aufgrund seiner Leidenschaften oder schlechten Gewohnheiten. Insofern kann es tatsächlich zeitweilig den Bewußtseinsverlust in bezug auf einige Gebote des Naturgesetzes geben. Die sekundären Direktiven können also - obwohl vom Naturgesetz derart eindeutig abgeleitet - ihrer Wirksamkeit in bestimmten Ausnahmesituationen verlustig gehen. Das Naturgesetz kann jedenfalls nicht in sich selbst Veränderungen erleiden (quantum est de se), sehr wohl jedoch können Umstände - obwohl sie das Gesetz in sich selbst nicht ändern noch jemals ändern könnten - die Materie ändern, d. h. das Materialobjekt, und so kann es geschehen, daß das Gesetz auf einem Gebiet, das es somit nicht mehr betrifft, seine Verpflichtungskraft verliert.(14) Es handelt sich daher um eine materiale und umstandsbedingte Veränderung (per accidens) und nicht um eine formale oder essenziale Veränderung (per se).(15)

II./3. Das "sekundäre" Naturrecht: tertiäre (erforschbare) Prinzipien des Naturrechts

Die entfernter abgeleiteten (tertiären) Direktiven als dem sekundären Naturrecht zuzählbar sind konkrete und kontingente Anwendungen und haben ihren Ursprung in den vorhergenannten Direktiven. THOMAS sagt in der Sum. Theol. I-II, q. 100, a. 3: während die primären und sekundären Prinzipien ohne weiteres oder auf Grund nur geringer Überlegung erfaßt werden, ist die Erkenntnis der "abgeleiteten" Prinzipien in ihrer Vernunftgemäßheit Sache der Fachleute, wobei er vor allem an den Gesetzgeber und die Vertreter der zuständigen Wissenschaften denkt (per diligentem inquisitionem sapientum inveniuntur rationi convenire). Das ist also das weite Gebiet der drittrangigen Prinzipien oder "tertiären Konklusionen", die die traditionelle Naturrechtslehre als principia remota (entferntere, abgeleitete Prinzipien) zu bezeichnen pflegte. Zu unterscheiden sind von diesen Rechtsprinzipien (Rechtsgrundsätzen) wissenschaftlich genau genommen Rechtsnormen (Rechtsgesetze), sowie inhaltlich im einzelnen bestimmte Rechtsansprüche und Rechtspflichten, wie sie sich ergeben als Forderungen der somit schließlich genannten drei Arten von Rechtsprinzipien angesichts der eindeutig in ihrer Verumständung ("Situation") erkennbaren Natur der Sache.(16)

Wir stehen beim sekundären Naturrecht demnach vor vermittelten Konklusionen, durch entferntere Applikation der Fundamentalprinzipien bzw. konkrete Determination ("ad particularia descenditur"). Es handelt sich um sehr konkrete sittliche Wahrheiten, die in ihrem inneren Verpflichtungswert nicht auf erstem Anhieb aufleuchten, sondern erst nach profunder Reflexion (manifesta solum sapientibus), was z. B. für die Einheit und auch die Unauflöslichkeit der Ehe festgehalten werden könnte(17), obwohl man sicher noch forschen wird müssen, ob diese beiden Wesenskennzeichen der Naturehe nicht doch dem Bereich der sekundären Prinzipien und damit dem primären Naturrecht zugehören. Wir widmen dieser Problematik vom Standpunkt der Dispensierbarkeit noch einige Überlegungen im III. Kapitel.(18) Weiters werden hier als Beispiele genannt die absolute Sündhaftigkeit des Selbstmordes sowie des Duelles, sodann die Richtschnur, daß in einer wohlorganisierten Gesellschaft Selbstjustiz nicht gerechtfertigt ist usw. Noch weiter entfernt sind logischerweise die vielen positiven Gesetze, wie jene, welche die Natur, Dauer und Schwere der Strafe festsetzen, wobei klar aus dem Naturgesetz hervorgeht, daß der Rechtsbrecher bestraft gehört. Diese zweite Ableitungsform ähnelt schon sehr jener in den Künsten, wenn ein Modell seiner konkreten Bestimmung angepaßt werden soll.(19)

Diese abgeleiteten Direktiven lassen - ganz grundsätzlich gesprochen - Einschränkungen und Ausnahmen zu aufgrund der verschiedenen Umstände, in denen sie sich aktualisieren müssen, und dies ist also um so leichter der Fall, je komplizierter der konkrete Fall sich darstellt bzw. je länger die Kette der Gedankengänge wird. Ist jedoch ein tertiäres Rechtsprinzip in der Entwicklungsgeschichte mit Sicherheit als wesentlich erkannt, sind solche Ausnahmen nur noch schwer denkbar. Zur Beurteilung und Bewertung wird jedenfalls eine längere präzise Reflexion und ausreichendes Wissen erforderlich - diesbezüglich ist es leicht möglich, daß diese Beurteilungskapazität bei einigen Personen nicht vorliegt - es handelt sich schließlich um moralische Sätze "per se notae solis sapientibus"(20).

II./4. Zusammenfassende Folgerungen aus der getroffenen Naturrechtseinteilung sowie weiterführende Überlegungen zur konkreten Erkenntnis und Applikation

Aus den vorgenannten erst-, zweit- und drittrangigen Rechtsprinzipien ist also nicht von vornherein ein Rechtskodex nach Art positiver Rechtsordnungen, vielmehr sind nur Prinzipien der Gerechtigkeitsordnung der geschichtlich konkreten Gesellschaft zu gewinnen, daher auch nur Grundbeziehungen der rechtlichen Ordnung der Gesellschaft. Gegen diese Einschränkung des Naturrechts wurde von manchen Seiten Einspruch erhoben. "Daß in Einzelfällen in der eindeutig erkennbaren konkreten Situation ganz konkrete Naturrechtsforderungen gegeben sein können (z. B.: beschädige nicht "dieses" fremde Eigentum), darauf haben wir selbst hingewiesen. Eine Naturrechtsethik, die darüber hinaus an ein ganz ins Konkrete gehendes kodifikationsfertiges Naturrecht denkt, scheint sich jedoch hinsichtlich der Art der drittrangigen, der "abgeleiteten" Naturrechtsprinzipien, die den Hauptbestandteil des angewandten Naturrechts bilden, einem Mißverständnis hinzugeben und teilweise als 'Rechtsnormen' oder konkrete Rechtsansprüche und Rechtspflichten anzusehen, was in Wirklichkeit 'Rechtsprinzipien' sind. Damit wird sie aber erneut Anlaß zu dem unausrottbar erscheinenden Mißverständnis, daß für die traditionelle Naturrechtslehre das geschichtliche Wesen der Rechtsordnungen mit den ungeheuren Verschiedenheiten der Rechtsnormen (bei den Völkern der heutigen Primitiven wie auch in den zahlreichen Hochkulturen der uns bekannten Geschichte) und das von ihr behauptete überzeitliche Wesen des absoluten Naturrechts eine unauflösliche Antinomie darstellen."(21)

THOMAS hat jedenfalls, weil er das allgemeine absolute (= primäre) Naturrecht und seine Anwendungsform, das relative (= sekundäre) Naturrecht, scharf scheidet, keine Schwierigkeit, das historische Wesen des positiven Rechts im vollen Ausmaß zuzugeben, wie seine einfache realistische Feststellung in der Sum. Theol. I-II, q. 95, a. 2, zeigt, daß das allgemeine Naturrecht bei den verschiedenen Völkern zu verschiedenen Anwendungsformen führe propter multam varietatem rerum humanarum; weshalb, wie er In III Sent., d. 37, q. 1, a. 3, sagt, das Gesetzesrecht bei verschiedenen Völkern verschieden ist. Mit THOMAS kann hier festgehalten werden, daß der Schwerpunkt der Naturrechtsethik im angewandten Naturrecht liegt. Denn er "betont immer wieder, die Hauptleistung aller Ethik und Sozialethik sei nicht die Herausstellung der allgemeinen Prinzipien, sondern ihre Anwendung auf die stets wechselnden Einzelsituationen des Lebens"(22). Die allgemeinen Prinzipien, dachte er, seien kraft der natürlichen Gewissenseinsicht hinreichend bekannt. Bei den ersten Schritten ihrer Anwendung (in particulari operabili: Sum. Theol. I-II, q. 94, a. 6) ist Irrtum schon nicht mehr ausgeschlossen, denn sie setzt die Beurteilung von Sachverhalten und Umständen voraus, bei der Irrtümer möglich sind. Daher war es immer Lehre der traditionellen Naturrechtsethik, daß die Menschennatur mit ihrer praktischen Vernunft wohl "in der Mehrzahl der Fälle" (ut in pluribus: Sum. Theol. I-II, q. 94, aa. 4 und 5), im Regelfall, voll zur Wirksamkeit kommt, in manchen Fällen jedoch nur unvollständig.

Und so können wir sehr wohl davon ausgehen, daß der Begriff "primäres Naturrecht" in THOMAS ein sachliches Fundament hat, es ist eben jenes Naturrecht, das unmittelbar in der sittlichen Natur des Menschen begründet und ihm durch seine sittlich-rechtliche Vernunfteinsicht kundgetan ist. Die unveränderliche Geltung dieses Naturrechts hat zweifellos ihren Grund in der gleichbleibenden Personnatur des Menschen und in der durch diese bedingten gesellschaftlichen Ordnung. Die für diese das primäre Naturrecht bildenden Rechtssätze sind nur allgemeiner Art, wenn auch nie inhaltsleer. Das sekundäre Naturrecht können wir auch angewandtes Naturrecht bezeichnen, nämlich jene Forderungen der Gerechtigkeit, die sich aus den allgemeinen Prinzipien in Verbindung mit der Einsicht in die unter den jeweiligen Umständen zu erkennende Natur der Sache ergeben.

Der Begriff "Angewandtes Naturrecht" kann sicher nicht mit Berufung auf THOMAS angefochten werden, denn er selbst bezeichnet in der Sum. Theol. II-II, 1. 47, aa. 3 und 4, das notwendige Verfahren (bei dem die Einsicht in die allgemeinen Prinzipien und die Einsicht in die besondere Natur der Sache zusammenwirken sollten) ausdrücklich als applicatio rectae rationis ad opus, wobei es sowohl auf die Kenntnis der Prinzipien als auch der Sache ankomme: id quod applicandum est, et id cui applicandum est. Logisch besteht das Verfahren in einer Schlußfolgerung mit Obersatz und Untersatz, nämlich Prinzipienurteil und Sachverhaltsurteil. Auch der Thomist G. A. MANSER verwendete 1947 für sein Buch den Titel "Angewandtes Naturrecht"(23) - sofort wird mit dieser Bezeichnung nämlich die logische Art des notwendigen Verfahrens klar (aber ähnlich gut kann natürlich auch von "rechtslogischem" oder "sachlogischem" Prozeß gesprochen werden). Das logische Wesen eines richterlichen Urteilsspruchs (die "Subsumtion" des besonderen Falles unter die allgemeine Norm) ist dasselbe. Weil umstandsbezogen, wird dieses Naturrecht - wie schon gesagt - auch als "relatives" hervorgehoben und damit im Unterschied zum "absoluten".

An dieser Stelle ist es sicherlich gut, kurz einen anderen Thomasinterpreten, nämlich A.-F. UTZ zu Wort kommen zu lassen. Er sieht nämlich die Erkenntnis der Naturrechtsordnung des einzelmenschlichen und gesellschaftlichen Lebens als "rechtslogischen Prozesses" an aufgrund der Auffassung, daß "der Mensch an sich, eben weil er die natura humana besitzt, Vernunftkraft genug habe, um die Normen erkennen zu können, und von diesen aus unter Einbeziehung der konkreten Sachkenntnis die sachgebundene Folgerung ziehen kann, was im Hier und Jetzt von der Gesellschaft rechtmäßig zu verwirklichen ist. Das Resultat dieses logischen Prozesses ist Naturrecht". Erklärend fügt er dazu, daß "in der Lehre des heiligen THOMAS die praktische Vernunft, insofern sie den objektiven Sachverhalt richtig analysiert, d. h. insofern sie wahr ist, rechtserzeugende Kraft besitzt".(24)

In den meisten Fällen bedarf der Mensch aber gar keiner eingehenderen Überlegung über Recht und Unrecht umstandsbedingten Verhaltens in seinem täglichen Leben. Das bedeutet nicht, daß die logische Art des Gewissensurteils eine andere würde, sondern nur, daß der Mensch aufgrund der Wiederholung ähnlicher Fälle und damit aufgrund der Gewohnheit eine Übung in solchem Urteil besitzt und "sofort" sieht, was seine Rechtspflichten sind. Die Anwendung geschieht also gewohnheitsmäßig: THOMAS bezeichnet diese gewohnheitsmäßig Fähigkeit zur "Anwendung" allgemeiner Prinzipien, auch im Bereich der Wissenschaften, in der Sum. Theol. I-II, q. 53, a. 1 (und an zahlreichen Stellen), als habitus conclusionum, zum Unterschied vom habitus principiorum; unter letzterem versteht er bekanntlich die der Vernunftnatur eigene Einsicht in die allgemeinen Seins-, Denk, Moral- und Rechtsprinzipien.

Bezüglich der Frage der Wahrheitserkenntnis und Erkenntnisgewißheit im Bereich des Naturrechts denkt THOMAS - trotz eines oft behaupteten Vernunftoptimismus - auch hier sehr realistisch und kommt zu sehr vorsichtig gehaltenen Ergebnissen. Für die Prinzipien des angewandten Naturrechts beansprucht er weithin nur eine probabilis certitudo (Sum. Theol. II-II, q. 70, a. 2); für die meisten Fälle der Einzelanwendung der Naturrechtsprinzipien, wobei es sich um singularia und damit contingentia handelt, nur veritatem contingentem (In III Sent., d. 35, q. 1, a..3, sol. 2). Die Naturrechtsethik braucht sich nicht zu scheuen, als Folge der Schranken der Wahrheits- und Gewißheitserkenntnis im Bereich des angewandten Naturrechts anzuerkennen, daß das Gewissen des Einzelmenschen und das des Gesetzgebers sich in Fragen von Rechtspflichten und Rechtsforderungen vielfach auf Sachverhaltsurteile stützen müssen, die nur einen höheren oder geringeren Grad von Wahrscheinlichkeit beanspruchen können. THOMAS zitiert in hier in der Sum. Theol. II-II, q. 70, a. 2, natürlich ARISTOTELES: "Gewißheit kann nicht in jeder Sache gleicherweise gefordert werden", so besonders im Bereich der menschlichen Handlungen, eo quod sunt circa contingentia et variabilia. Et ideo sufficit probabilis certitudo, quae ut in pluribus veritatem attingat, etsi in paucioribus a veritate deficiat.

THOMAS bringt auch - wie wir schon zu Beginn kurz angemerkt hatten - die Analogie mit dem theoretischen Erkenntnisbereich ein, erwähnt dabei jedoch die Differenz zwischen dem deduktiven Prozeß des spekulativen Intellekts, der als Objekt das Notwendige hat, und dem praktischen Intellekt, der als Objekt - wie gesagt - das Kontingente hat. In der Sum. Theol. I-II, q. 94, a. 4, lesen wir: "Aliter tamen circa hoc se habet ratio speculativa, et aliter ratio pratica. Quia enim ratio speculativa praecipue negotiatur circa necessaria, quae impossibile est aliter se habere, absque aliquo defectu invenitur veritas in conclusionibus propriis, sicut et in principiis communibus. Sed ratio pratica negotiatur circa contingentia, in quibus sunt operationes humanae: et ideo, etsi in communibus sit aliqua necessitas, quanto magis ad propria descenditur, tanto magis invenitur defectus. Sic igitur in speculativis est eadem veritas apud omnes tam in principiis quam in conclusionibus: licet veritas non apud omnes cognoscatur in conclusionibus, sed solum in principiis, quae dicuntur communes conceptiones. In operativis autem non est eadem veritas vel rectitudo practica apud omnes quantum ad propria, sed solum quantum ad communia: et apud illos apud quos est eadem rectitudo in propriis, non est aequaliter omnibus nota".(25)

II./5. Betrachtung der Naturrechtseinteilung im konkreten positiven Recht

Daß das Naturrecht weithin Wirklichkeit im positiven Recht ist, war die Anschauung von THOMAS. Das Naturgesetz hat einen fortlaufenden Prozeß der Integration mit Hilfe des positiven Rechtes als mensura mensurata in der konkreten historischen Situation nötig.(26) Im Bereich des angewandten Naturrechts wissenschaftlich tätig zu sein, wird immer Mut und Risikobereitschaft erfordern. Nach THOMAS ist die für die Diagnose und Therapie hinsichtlich des Sozialkörpers erforderliche Sachverhaltskenntnis mit ungleich größeren Schwierigkeiten verbunden, als es die sind, denen sich die mit dem menschlichen Organismus befaßte Heilkunde in ihrer Diagnose und Therapie gegenübersehe.(27)

In getreuer Fortführung der bereits im Geiste des hl. THOMAS getroffenen Unterscheidung ergibt sich nun für den konkreten Bereich des positiven Rechtes logischerweise folgende Grundunterscheidung:(28)

1. der Kernbereich des primären Naturrechts (= primäre und sekundäre Prinzipien/Direktiven) und damit die Gesetze des ius naturale, die "prima mensura et regula omnium humanorum actuum" sind und die "nullo modo deficiunt"; es ist der Kernbereich des primären Naturrechts, unveränderlich, universal im vollen Sinne des Worte; es ist kodifiziertes Naturrecht wie z. B. das Mordverbot.

2. der Bereich des sekundären Naturrechts (= tertiäre Prinzipien/Direktiven) und damit jene Gesetze, die directe et immediate ad ius naturale reducuntur und aliquibus concurrentibus earum observatio impeditur; es ist ein gewisser Mittelbereich der Normen weniger klarer "Naturalität", weil nicht auf Anhieb erkennbar, wenn nicht durch klare Denkarbeit; es ist das angewendete Naturrecht im klassischen Sinne wie z. B. der Privatbesitz, der als sekundäres Naturrecht von seiten der öffentlichen Behörden im Hinblick auf die konkreten historischen Bedingungen mit größerer Präzision festgelegt werden muß;

3. der Bereich der sog. rein-positiven Gesetze im eigentlichen Sinne (positiva iura), die vom Naturrecht nur noch indirecte et mediate herkommen, weshalb sie reducuntur ad legem naturale non secundum se absolute, sed consideratis omnibus circumstantiis particularibus, quae faciebant decentiam suae observationis; es ist eine Zone, in der die Natur durchaus noch ihre Stimme hören läßt, in der jedoch weder die Intuition noch das längere Nachdenken klar bestimmte Gebote erkennen können, insofern man zwischen den vielen Möglichkeiten wählt, das in diesem Sinne Unbestimmte näher zu definieren(29); so beschaffen scheint die Mehrheit der Gesetze des positiven Rechtes, sei es im Privatrecht, im Prozeßrecht, im Strafrecht oder im Steuerrecht usw., die sich - wie schon festgehalten - mit Rücksicht auf ihre Rückwirkung und Abhängigkeit von sozialen, politischen, ökonomischen Faktoren äußerst stark unterscheiden können gemäß der verschiedenen Zeiten, Orte und Völker. Diese positiven Gesetze kommen vom Naturgesetz nur noch per modum determinationis her im Hinblick auf die existentiellen Umstände, sodaß sie bona quia praecepta und nicht praecepta quia bona anordnen bzw. mala quia prohibita und nicht prohibita quia mala verbieten und so "ex sola lege humana vigorem habent"(30).



III. ANMERKUNGEN ZUR ALTEN FRAGE DER DISPENSIERBARKEIT SEITENS EINES KOMPETENTEN GESETZGEBERS

III./1. Anmerkungen zu Fällen uneigentlicher "Dispens" vom Naturrecht (allgemein und speziell im Alten Testament)

Werfen wir nach Klärung der Unterscheidungen zwischen primärem (= primäre und sekundäre Prinzipien) und sekundärem Naturrecht (= tertiäre Prinzipien) nun noch einen wohl notwendigen Blick auf die oft abgehandelte Problematik der Dispensierbarkeit(31) des Naturrechts.

In der Sum. Theol. sehen wir zunächst noch, daß unter den Normen des positiven Rechts eine Wertehierarchie existiert. Sehr allgemein kann gesagt werden: wenn die Konformität mit einem niedrigeren Prinzip die Erfüllung eines höheren Prinzips verunmöglichen würde, wäre man nicht mehr auf das niedrigere Prinzip verpflichtet. Dies deswegen, weil die "Intentio autem legislatoris cuiuslibet ordinatur primo quidem et principaliter ad bonum commune; secundo autem, ad ordinem iustitiae et virtutis, secundum quem, bonum commune conservatur, et ad ipsum pervenitur"(32) Wenn also z. B. normalerweise klar ist, daß man die hinterlegten Sachen wieder zurückgeben muß, wäre es jedoch gegen die auf das Gemeinwohl abzielende Intention des Gesetzgebers, wenn man die Waffen einem wütenden Narr oder einem Feind des Vaterlandes zurückerstatten würde. Deshalb stehen wir im genannten Fall einer sog. "Pflichtenkollision" gegenüber, weshalb man nicht nur von der Restitution "dispensiert" ist, sondern wegen des Gemeinwohlprimates nicht einmal restituieren dürfte. Dabei wird also das allgemeine Restitutionsgesetz nicht modifiziert, sondern es handelt sich nur um eine Ausnahme in paucioribus, wie THOMAS präzisiert. Dieselbe Lösung kann im Falle dessen gelten, der sich aufgrund augenblicklich extremer Überlebensnot fremder Gegenstände bemächtigt, sodaß in diesem Fall strenggenommen kein Diebstahl vorliegt, weil "per talem necessitatem efficitur suum illud quod quis accipit occulte ad sustentandam propriam vitam".(33)

THOMAS behandelt jedoch auch jene berühmten Fälle der Heiligen Schrift, in denen Gott Dinge "gegen den Dekalog" angeordnet hätte, und er hält fest, daß dieselben Gebote des Dekalogs "quantum ad rationem iustitiae" unveränderlich und nicht dispensierbar sind. Tatsächlich enthalten die auf Gott selbst bezogenen Gebote der ersten Tafel die Intention desselben Gottes im Hinblick auf das letzte Ziel, d. h. sie enthalten die Ordnung zum allgemeinen und letzten Wohl, was Gott selbst ist; und jene der zweiten Tafel drücken dieselbe Intention Gottes bezüglich der in der Praxis zu beachtenden Gerechtigkeit zwischen den Menschen aus. Die Undispensierbarkeit ist daher ebenso rigoros in den Geboten der ersten wie auch der zweiten Tafel, weil Gott sich nicht selbst verneinen kann - dies würde er nämlich tun, wenn er von der Gerechtigkeitsordnung derogierte, die jedoch auf seinem eigenen Wesen basiert, und auch daher: "praecepta decalogi sunt omnino indispensabilia"(34).

Wenn dann Gott, und nur Gott könnte dies, einen Diebstahl, einen Mord, einen Ehebruch "autorisiert" habe, so gab es in diesen Fällen keine irgendwie geartete Verletzung der Gerechtigkeitsordnung, weil eine Anordnung Gottes als souveränen und absoluten Eigentümers des Ganzen und aller vorläge. Aber schauen wir hier noch genauer:

1. Kraft seiner Vollmacht über Leben und Tod habe Gott Abraham befohlen, seinen unschuldigen Sohn Isaak (Gen. 22,2) zu töten. Gott ist aber nun tatsächlich "auctor", "dominus vitae et mortis"(35), weshalb der von ihm befohlene Tod kein Mord war, weil nämlich Mord nur die illegitime oder unrechtmäßige Tötung eines Menschen ist; das fünfte Gebot verbietet bekanntlich die eigenmächtige Tötung eines Unschuldigen. Da nun aufgrund der Erbsünde alle Menschen sterben müssen, ist Abraham im konkreten Fall anzusehen als "executor auctoritate divina, non erit homicida, sicut nec Deus".(36)

2. Gott habe den Hebräern befohlen, die Geräte und Mäntel der Ägypter mitzunehmen (Ex. 12,35 ff.), aber in diesem Falle "non fuit furtum: quia hoc eis debebatur ex sententia Dei".(37) Außerdem ist Gott der absolute Eigentümer aller Dinge, "eius sunt omnia, et cui voluerit dat illa".(38)

Daher schließt THOMAS, daß Gott niemals "contra naturam" handle, auch wenn er manchmal "contra solitum cursum naturae"(39) vorgeht. Also kann nicht einmal Gott selbst im eigentlichen Sinne vom Naturgesetz (oder vom Dekalog) dispensieren, sondern nur in einem uneigentlichen Sinne, d. h. vom Blickwinkel der Materie her, nämlich - wie wir bereits gesehen hatten - in jenem Sinne, daß es Umstände geben kann, die zwar nicht das Gesetz ändern oder jemals ändern könnten, jedoch das Materialobjekt ändern, welches unter das Gesetz fallen würde, sodaß das unveränderlich bleibende Gesetz in keiner Weise mehr verpflichtet - wir stehen also nur vor einer mutatio materiae und nicht vor einer Veränderung des Gebotes selbst. Nur auf diese Weise kann Gott mit einem Akt seines Willens als Eigentümer aller Dinge und aller Menschen eine Eigentumsübertragung von einer Person zu einer anderen herbeiführen.(40)

3. Gott habe Hosea befohlen, sich mit einer ehebrecherischen Frau zu verbinden (Hos. 1,2), wobei zu bedenken ist, daß die Festlegung der Institution Ehe und deren Wesenseigenschaften von der göttlichen Autorität abhängen, welche nun von deren Beobachtung dispensieren kann, und daher ist Hosea weder als ehebrecherisch noch unzüchtig anzusehen, "quia accessit ad eam quae sua erat secundum mandatum divinum"(41) Außerdem "ipse Deus est humanae generationis ordinator, et ille est debitus modus mulieribus utendi quem Deus instituit".(42)

III./2. Diskussion einer eigentlichen Dispens vom (ehelichen) Naturrecht durch Gott bzw. einen Stellvertreter Gottes (unter besonderer Berücksichtigung der aktuellen kirchlichen Dispenspraxis)

Auch wenn man für die Deroga vom Gesetz der Unauflöslichkeit unter den Israeliten, die bekanntlich von Mose "ad duritiam cordis" (Mt. 19,8) gewährt worden sei, ähnlich wie im soeben genannten Fall Hoseas argumentieren wird können, scheint es hier für THOMAS jedoch evident zu sein, daß Gott von (weiter) abgeleiteten naturrechtlichen Prinzipien bzw. vom Verbot der Polygamie oder der Ehescheidung im Hinblick auf spezielle Umstände auch im eigentlichen Sinne dispensieren kann, wie es offensichtlich im Alten Testament der Fall gewesen sei: "Si autem lex sit divinitus posita, auctoritate divina dispensatio fieri potest: sicut in veteri lege ex dispensatione indultum videtur uxores plures habere et concubinas, et uxoris repudium."(43) MESSNER kritisiert in diesem Punkt implizit auch den hl. THOMAS, wenn er festhält, daß "man gar davon sprechen zu können glaubte, daß Gott in solchen Fällen vom Naturgesetz 'dispensiert' hätte", obwohl gar kein Wandel des Naturgesetzes selbst vorgelegen sein konnte. Seiner Erkenntnis nach "liegt die Erklärung in der umstandsbedingten, daher von den naturrechtlichen Idealnormen notwendig abweichenden positiv-rechtlichen Normsetzung durch den theokratischen Gesetzgeber des alttestamentlichen Staates. Diese Umstandsbedingtheit liegt vor allem in dem mangelhaft entwickelten, im starren (orientalischen) Gewohnheitsrecht zum Ausdruck kommenden Rechtsbewußtsein, angesichts dessen der positivrechtliche göttliche Gesetzgeber nur das 'Bestmögliche' nach den naturrechtlichen Forderungen des Gemeinwohlprinzips anstreben konnte."(44)

Damit ist (jedenfalls in der wissenschaftlichen Naturrechtsethik) noch weniger und keinesfalls von vornherein die Frage geklärt, ob nun der Papst im Neuen Bund als Stellvertreter Gottes auf Erden im Hinblick auf spezielle Umstände im eigentlichen Sinne z. B. vom bestehenden Eheband dispensieren könnte, was offensichtlich strenggenommen in einigen genau umschriebenen Fällen geschieht (in einem Fall z. B. auch betreffend die sakramental geschlossene Ehe: ratum tantum, d. h. ratum non consummatum)(45), obwohl die kirchliche Lehre mit Deutlichkeit die monogame und unauflösliche Ehe vom Naturrecht her gefordert sieht und somit keine gültige Ehe mittels positivrechtlichem Scheidungsgesetz jemals gelöst werden könnte.

Was nun die Einheit der Ehe betrifft, will J. F. CASTAÑO jedoch festgehalten wissen, daß diese nur schwer als naturrechtliches Erfordernis argumentiert werden könne, nämlich im Hinblick darauf, daß in einem großen Teil der Menschheit diese Eigenschaft einfach fehlt, nicht nur in der Praxis, sondern auch in der Gesetzgebung, in der Kultur und in den betreffenden Religionen. Und so schlägt er ernsthaft dem Lehramt der katholischen Kirche vor, bei der Einheit nicht mehr mit dem Naturrecht zu argumentieren, sondern von vornherein und "nur" mit der Berufung auf positives göttliches Recht. Dabei ist zu erwähnen, daß CASTAÑO dies tatsächlich deshalb vorschlägt, weil für ihn echte naturrechtliche Erfordernisse im eigentlichen Sinne immer, überall und bei allen feststellbar sein müßten.(46) Hier kann man ihm den Vorwurf nicht ersparen, daß er die naturrechtliche Argumentation zu rasch beiseite schieben möchte, nämlich durch Nichternstnehmen der vielen Gründe, die die konkrete Erkenntnis und Verwirklichung eines womöglich nur tertiären Naturrechtsprinzips behindern können, obwohl es entwicklungsmäßig längst mit Sicherheit (und nicht zuletzt dank der christlichen Offenbarung) erkannt und festgestellt wäre. Jedenfalls meint CASTAÑO grundsätzlich, daß die Wesenseigenschaften (Einheit und Unauflöslichkeit) der Ehe als dem sekundären Naturrecht zugehörende auch im Neuen Bund durch eine Intervention von kompetenter Seite (Gottes oder seines Stellvertreters) in Form einer wahren Dispens wegfallen können.(47)

THOMAS selbst ging jedenfalls davon aus, daß die Unauflöslichkeit der Ehe naturrechtlich gefordert sei, vor allem im Hinblick auf die Erziehung und Erbberechtigung der Kinder als gemeinsamen Gutes der Eheleute.(48) Die Polygamie ist für ihn "quodammodo contra legem naturae, et quodammodo non."(49) Sie verhindert nämlich den primären Zweck der Ehe weitgehend nicht, sondern wäre nur ein Hindernis für den sekundären Zweck, insofern sie den inneren Familienfrieden leicht nehmen könne(50), während die Polyandrie ganz klar gegen die erstrangigen Prinzipien des Naturrechts und gegen den primären Zweck der Ehe gerichtet ist.(51) Auch die naturrechtlich unverantwortbare Unsicherheit bezüglich des erziehungsberechtigten Vaters erwähnt THOMAS hier natürlich.

Somit sollte es tatsächlich leichter sein, empfängnisverhütendes Handeln als gegen das Naturgesetz gerichtet zu erkennen als die Polygamie. Zweifellos will diese offensichtlich leichter mögliche Erkenntnis keine große Mehrheit zugeben, wegen der damit verbundenen Opfer, die der Lebensvollzug dieser Erkenntnis nach sich ziehen würde. Damit erscheint jedoch immer klarer, daß das Verbot der Empfängnisverhütung als sekundäres Naturrechtsprinzip in den Bereich des primären Naturrechts hineinfällt und die katholische Kirche hier mit Recht von einem Fall der Undispensierbarkeit ausgeht, weil immer in sich schlecht, während jedoch das Polygamieverbot womöglich als nur tertiäres Naturrechtsprinzip in den Bereich des sekundären Naturrechts fallen würde und vielleicht erst aufgrund des positiven göttlichen Rechtes mit Sicherheit undispensierbar erscheint.(52) Das meinte offensichtlich CASTAÑO in seinem Eherechtslehrbuch.

Für MESSNER ist es jedoch "offenkundig, daß die Ehe als Lebensgemeinschaft von Mann und Frau ihre Einheit und Unauflöslichkeit bedingt ... Jede andere Form der Geschlechterverbindung steht im Widerspruch zum Wesen wahrer Liebe zwischen Personen (...) Polygamie in ihren alten und neuen Formen und die Auflöslichkeit der Ehe sind unvereinbar mit der Liebe, die die ganze Existenz der Liebenden umfaßt und durchdringt. Sie verhindern die Existenzerfüllung in der ehelichen Liebe (...) - Einheit und Unauflöslichkeit der Ehe ergeben sich aber noch klarer aus dem Sozialzweck der ehelichen Vereinigung, der Aufzucht der Kinder (...) Wenn aber eine Ehe kinderlos ist? Oder wenn die Eheleute doch getrennt leben müssen, weil sonst Seele und Leib derselben und das Wohl der Kinder bedroht ist? Um des Sozialzweckes der Ehe willen verlangt die Natur trotzdem ihre Unauflöslichkeit (...) Wäre das Band der Ehe nicht unauflöslich, viele, die in einer Ehe sich verbinden, würden von vornherein nicht die Anstrengungen machen, die notwendig sind, um den Individual- und Sozialzweck der Ehe zu erreichen."(53)

Womit aber noch mehr und noch immer eine notwendige Erklärung für die konkreten aktuellen kirchlichen Dispensfälle vom gültigen Eheband ausbleibt - MESSNER hatte sich zudem im Zusammenhang mit dem Alten Testament gegen die Ansicht gewandt, es handle sich um die Frage einer "Dispens". Könnte zu diesen päpstlichen Dispensfällen vielleicht trotzdem - abgesehen davon, daß bei den nicht vollzogenen Ehen gewissermaßen der naturrechtliche Kernvertrag noch nicht im Vollsinn erfüllt wäre - eine Erklärung im Geiste MESSNERS für die verbleibenden Spezialfälle gegeben werden? Sie setzt aber immer voraus, daß dem Stellvertreter Gottes auf Erden also doch eine echte Dispensvollmacht zustehen müßte, um einem höheren Prinzip in der christlichen Existenzordnung zum Durchbruch verhelfen zu können.

Zweifellos ergeben nämlich die tatsächlich möglichen Fälle des Kirchenrechtes einen klaren Gemeinwohlprimat bzw. Primat eines höheren Prinzips (Bewahrung des Glaubens), aber es wäre eben verhängnisvoll, würden von diesen in die Gemeinwohlordnung eingebundenen Beispielen sog. "progressive" Moraltheologen aufgrund mangelnden Ernstnehmens der Offenbarung sowie Ablegens jeder naturrechtlich ernsthaften Fundierung weiterschließen, daß letztlich doch jede Dispensierungsgrenze (welche die katholische Kirche offensichtlich in der gültig geschlossenen und vollzogenen Ehe unter Getauften erkennt) mehr oder weniger willkürlich erscheinen müsse und deshalb auch subjektiv schwerwiegend erscheinende Gründe, auch wenn sie nicht in den objektiven kirchenrechtlichen Rahmen der eher selten auftretenden möglichen Dispensfälle hineinfallen, berücksichtigt werden müßten. Wahrscheinlich können wir aber davon ausgehen, daß die Kirche, wenn sie diese Gnadengewährung nicht theoretisch vorsähe, d. h. wenn sie von beteiligten Ungetauften nach der konkreten Bekehrungssituation die volle Durchsetzung eines naturrechtlich tertiären Prinzips (bei MESSNER erscheint die Unauflöslichkeit der Ehe fast schon als sekundäres Prinzip) verlangen würde gegen die objektiv gegebene Möglichkeit, dem Glauben und Glaubensleben und damit dem Seelenheil in entscheidender Weise helfen zu können (favor fidei), gegen das höchste Gesetz des salus animarum handeln würde (auch im Hinblick darauf, daß dem Ungetauften nicht jene Gnadenhilfen zur Verfügung standen und stehen werden, um in gestärkter Bereitschaft, nicht zuletzt dank des womöglich nun gegebenen Ehesakramentes, gemeinsam mit dem getauften Ehegatten gegen die auferlegten Folgen der Erbsünde fruchtbar anzukämpfen.)

Man kann also kaum von der Hand weisen, daß es spezielle Dispensmöglichkeiten seitens des speziell bevollmächtigten Vertreters Gottes auf Erden geben dürfte. Diese Vollmacht scheint jedoch ganz klar an die spezifische Gemeinwohlordnung (welche höhere Prinzipien kennt und durchsetzen möchte) der wahren Glaubensgemeinschaft gebunden, die wir hier in der vollkommenen Gesellschaft der katholischen Kirche erkennen. Damit ist einem drohendem Scheidungssubjektivismus doch ein Riegel vorgeschoben, und dieser Riegel ist und bleibt eindeutig naturrechtlicher Art, was nach Meinung des Autors inhaltlich am besten von MESSNER dargestellt worden ist. Daß es jedoch zur Förderung des Glaubens eine auch nur theoretisch denkbare Dispensnotwendigkeit oder -möglichkeit in Richtung Polygamie im Neuen Bund geben könnte, wie vielleicht aus den Ausführungen CASTAÑOS allzu gerne geschlossen würde, hält der Autor im übrigen jedoch für völlig ausgeschlossen.



IV. SCHLUSSWORT

Nicht die schwere Einteilbarkeit oder die sich angehäuft habenden Einteilungstheorien als solche sind nach Auffassung des Autors das wissenschaftliche Problem, sondern vielmehr die manchmal gegebene Mißachtung der Grundunterscheidungen des hl. THOMAS. Bei der in dieser Arbeit dargelegten Theorie noch von künstlichen Unterscheidungen zu sprechen(54), hält der Autor für wenig berechtigt, was auch die Übernahme und Präzisierung dieser Unterscheidungen in eine erfahrungsbezogene Sozialethik wie jene MESSNERS überdeutlich vor Augen führen dürfte. Immerhin fordert auch der diesbezüglich kritische LECLERCQ, daß man - um die Terminologie des hl. THOMAS (In V Ethic., lect. 12) wieder aufzunehmen - unterscheiden müßte zwischen jenen Fällen, in denen das Naturgesetz zu anzweifelbaren bzw. mehrfachen Konklusionen führen kann, weil es in sich selbst verschiedenen Applikationen empfänglich ist, und jenen Fällen, in denen es vielmehr die Menschen mehrdeutig auffassen (wollen) bzw. auf verschiedene Weise anwenden, nämlich "propter hoc quod aliqui habent depravatam rationem ex passione, seu ex mala consuetudine, seu ex mala habitudine naturae; sicut apud Germanos olim latrocinium non reputabatur iniquum, cum tamen sit expresse contra legem naturae, ut refert Iulius Caesar, in libro de Bello Gallico"(55). In diesem Forschungsdesiderat treffen sich dann nach Meinung des Autors LECLERCQ und MESSNER.(56)

Die Zeit hat uns leider gefehlt, die gesamte Arbeit an dieser Stelle mit einer kurzen Zusammenfassung abzuschließen, aber die Gliederung wird es nach Meinung des Autors erlauben, die entsprechenden Einzelpunkte jeweils ausführlicher zu überprüfen. Klar ist jedoch geworden, daß die Einteilung des Naturrechts in ein primäres und sekundäres von THOMAS her eine gute Begründung findet, auch in der weiteren Unterteilung, daß nämlich dem primären Naturrecht evidente primäre sowie leicht erkennbare sekundäre Prinzipien zuzuzählen sind, während dem sekundären Naturrecht erforschbare tertiäre Prinzipien zufallen. Klar ist auch geworden, daß sich dieselben primären, sekundären und tertiären Rechtsprinzipien erst in der Folge in ein konkretes positives Recht hineinübersetzen müssen bzw. können, was jedoch ihre sofortige Gültigkeit nach ihrer klaren Erkenntnis in keiner Weise verzögern oder verändern kann.

Es ist abschließend sicherlich noch interessant, mit dem CATECHISMUS CATHOLICAE ECCLESIAE darauf hinzuweisen, daß auch die katholische Kirche der traditionellen Grundunterscheidung im Geiste des hl. THOMAS gefolgt zu sein scheint: "Lex naturalis prima et essentialia enuntiat praecepta quae vitam regunt moralem. Tamquam fundamentum habet appetitionem Dei et submissionem Ei, qui fons est et iudex omni boni, atque etiam sensum alterius tamquam aequalis sibimet ipsi. Quoad sua praecipua praecepta exprimitur in Decalogo (...) - Legis naturalis applicatio valde diversa est; accommodatam multiplicitati condicionum vitae, secundum loca, aetates et circumstantias, potest requirere deliberationem. Attamen lex naturalis, in culturarum diversitate, tamquam regula permanet homines coniungens inter se eisque, praeter inevitabiles differentias, communia imponens principia. - Lex naturalis est immutabilis (cf. CONCILIUM VATICANUM II, Const. past. Gaudium et spes, 10 ...) et, per historiae mutationes, permanens; sub fluxu subsistit idearum et morum eorumque sustinet progressum. Regulae, quae illam exprimumt, substantialiter perseverant validae. Etiamsi eius principia pernegentur, ipsa destrui non potest neque ex hominis corde auferri (...) - Ea denique necessarium basim providet legi civili, quae ad eam refertur, sive per deliberationem quae conclusiones ex eiusdem deducit principiis, sive per positivae et iuridicae naturae additiones." (Nr. 1955 - 1959)



V. BIBLIOGRAPHIE

V./1. Konsultierte Quellen:

THOMAS V. AQUIN:

1. Theologische Summa van den H. Thomas van Aquino. Latijnsche en nederlandsche tekst uitgegeven door een groep dominicanen:

Band X., Over de Wetten (Ia IIae, Q. 90 - 108), Antwerpen 1928.

2. Opera omnia iussu impensaque Leonis XIII P. M. edita:

Tomus XII (Sum. Theol., IIIA pars, Qu. 60 ad 90; Supplementum), Rom 1906.

3. Summa contra Gentiles, Rom 1934 (= Editio Leonina Manualis).

4. In decem Libros Ethicorum Aristotelis ad Nicomachum Expositio, Turin - Rom 1949.

CATECHISMUS CATHOLICAE ECCLESIAE, Vatikan 1997.

V./2. Konsultierte Autoren:

BÖCKLE F. - BÖCKENFÖRDE E.-W. (Hrsg.), Naturrecht in der Kritik, Mainz 1973.

CAFFARRA C., Etica generale della sessualità, Mailand 1992.

CASTAÑO J. F., Il Sacramento del matrimonio, Rom ³1994.

FUCHS J., Le droit naturel. Essai théologique (= Übersetzung durch LIEFOOGHE A. des 1955 unter dem Titel LEX NATURAE deutsch erschienenen Werkes), Tournai - Paris - New York - Rom 1960 (= DELHAYE Ph. - DIDIER J.-C. - ANCIAUX P. [Hrsg.], Bibliothèque de Théologie. Serie II. Théologie Morale, Bd. 6).

LECLERCQ J., Leçons de droit naturel I. Le fondement du droit et de la société. Deuxième édition revue et corrigée, Namur ²1933 (= Études Morales, Sociales et Juridiques).

LIO E., Humanae vitae e infallibilità. Il concilio, Paolo VI e Giovanni Paolo II, Vatikan 1986 (= Teologia e Filosofia, Bd. V).

MESSNER J., Das Naturrecht. Handbuch der Gesellschaftsethik, Staatsethik und Wirtschaftsethik, Berlin 7/1984 (= siebente unveränderte Gedenkedition in Übereinstimmung mit der sechsten Auflage 1966).

PIZZORNI R. M., Il diritto naturale dalle origini a S. Tommaso d'Aquino. Saggio storico-critico. Seconda edizione interamente rielaborata, Rom ²1985 (= Collana di Diritto 3).

RÖSZER E., Göttliches und menschliches, unveränderliches und veränderliches Kirchenrecht von der Entstehung der Kirche bis zur Mitte des neunten Jahrhunderts. Untersuchungen zur Geschichte des Kirchenrechts mit besonderer Berücksichtigung der Anschauungen Rudolph Sohms, Paderborn 1934 (= 64. Heft der Sektion für Rechts- und Staatswissenschaft der Görres-Gesellschaft).


VI. ANMERKUNGEN

(1) Vgl. für das katholische Verständnis J. FUCHS, Le droit naturel. Essai théologique (= Übersetzung durch A. LIEFOOGHE des 1955 unter dem Titel LEX NATURAE deutsch erschienenen Werkes), Tournai - Paris - New York - Rom 1960 (= Ph. DELHAYE - J.-C. DIDIER - P. ANCIAUX [Hrsg.], Bibliothèque de Théologie. Serie II. Théologie Morale, Bd. 6), 81 ff., und für ein protestantisches Verständnis H. THIELICKE, Theologische Ethik, Bd. I., 1951, 654 ff.

(2) Vgl. J. LECLERCQ, Leçons de droit naturel I. Le fondement du droit et de la société. Deuxième édition revue et corrigée, Namur ²1933 (= Études Morales, Sociales et Juridiques), 58: "Cette distinction donnait lieu à beaucoup d'obsurités, car il est impossible de déterminer les limites qui séparent ce droit naturel primaire de ce droit naturel secondaire et du droit des gens." bzw. vgl. ebd., in der Anm. 2, auch SCHIFFINI, Disputationes philosophiae moralis, t. I, Turin 1891, 381: "Lorsqu'on lit sur cette question les écrivains et les docteurs, même les plus réputés, on trouve une telle diversité d'opinions et une telle obscurité d'idées qu'après les avoir longuement consultés, on finit par ne plus savoir du tout ce qu'il faut en penser." Wäre jedoch für die genannten Autoren zu ihrer jeweiligen Zeit bereits die zweifellos immer noch bedeutsamste moderne "Summe des Naturrechts" vorgelegen, nämlich J. MESSNERS Naturrecht (erste deutsche Auflage dieses Handbuchs der Gesellschafts-, Staats- und Wirtschaftsethik in: Innsbruck - Wien 1950), wären nach Meinung des Autors die genannten Erkenntnis- oder Einteilungsschwierigkeiten mit einem Schlag behoben gewesen, wie sich hoffentlich in dieser kleinen Arbeit zeigen wird.

(3) Sum. Theol. I-II, q. 91, a. 4, ad 1: "per naturalem legem participatur lex aeterna secundum proportionem capacitatis humanae naturae"; vgl. auch a. a. O., q. 94, a. 6.

(4) Vgl. dazu auch J. MESSNER J., Das Naturrecht. Handbuch der Gesellschaftsethik, Staatsethik und Wirtschaftsethik, Berlin 7/1984 (= siebente unveränderte Gedenkedition in Übereinstimmung mit der sechsten Auflage 1966), 38: "Die Tatsache, daß sie nicht beweisbar sind, bedeutet indessen keineswegs, daß sie nicht weiter ergründbar sind hinsichtlich ihres Zusammenhanges mit der menschlichen Natur und der menschlichen Existenz, deren entscheidenden Zug ihr Geltungsanspruch bildet. Nur diese Ergründung ermöglicht, zu sagen, was dieser Geltungsanspruch für eine Berechtigung besitzt und was er in der konkreten Situation fordert. Denn das Gute und Böse, sittlicher Wert und Unwert ... sind ganz und gar existenzbezogen."

(5) Vgl. dazu wieder im besonderen a. a. O., 99.

(6) Vgl. Sum. Theol. I-II, q. 100, a. 1: "Quaedam sunt in humanis actibus adeo explicita, quod statim cum modica consideratione, possunt approbari vel reprobari per illa communia principia. Quaedam vero sunt ad quorum iudicium requiritur multa consideratio diversarum circumstantiarum, quas considerare diligenter non est cuiuslibet, sed sapientium: sicut considerare particulares conclusiones scientiarum non pertinet ad omnes, sed ad solos philosophos. Quaedam vero sunt ad quae diiudicanda indiget homo adiuvari per instructionem divinam: sicut est circa credenda."

(7) Vgl. MESSNER (7/1984) 368 f. und 99 f.

(8) Sum. Theol. I-II, q. 94, a. 1, ad 2: "Synderesis dicitur lex intellectus nostri, inquantum est habitus continens praecepta legis naturalis, quae sunt prima principia operum humanorum".

(9) Vgl. Sum. Theol. I-II, q. 91, a. 2: "Omnia participant aliqualiter legem aeternam, inquantum scilicet ex impressione eius habent inclinationem in proprios actus et fines ... In ipsa [rationali creatura] participatur ratio aeterna, per quam habet naturalem inclinationem ad debitum actum et finem"; vgl. auch a. a. O., q. 90, a. 4, ad 1: "Promulgatio legis naturae est ex hoc ipso quod Deus eam mentibus hominum inseruit naturaliter cognoscendam".

(10) Vgl. a. a. O., q. 95, a. 2: "A lege naturali dupliciter potest aliquid derivari: uno modo, sicut conclusiones ex principiis ... Primus quidem modus est similis ei quo in scientiis ex principiis conclusiones demonstrativae producuntur ... Derivantur ergo quaedam a principiis communibus legis naturae per modum conclusionum; sicut hoc quod est non esse occidendum, ut conclusio quaedam derivari potest ab eo quod est nulli esse malum faciendum".

(11) Vgl. a. a. O., q. 95, a. 4, ad 1: "Ad primum ergo dicendum quod ius gentium est quidem aliquo modo naturale homini, secundum quod est rationalis, inquantum derivatur a lege naturali per modum conclusionis quae non est multum remota a principiis. Unde de facili in huiusmodi homines consenserunt. Distinguitur tamen a lege naturali, maxime ab eo quod est omnibus animalibus commune". Am a. a. O., II-II, q. 57, a. 3, reiht THOMAS zwar das ius gentium unter das menschliche Recht ein, erklärt jedoch, quia ea, quae sunt iuris gentium, naturalis ratio dicta, puta ex propinquo habentia aequitatem, inde est quod non indigent aliqua speciali institutione, sed ipsa naturalis ratio ea instituit.

(12) Vgl. In V Ethic., lect. 5, n. 1023: "Omnia iusta positiva vel legalia ex iusto naturali oriuntur"; vgl. Sum. Theol. I-II, q. 95, a. 2: "Rationis autem prima regula est lex naturae ... Unde omnis lex humanitus posita intantum habet de ratione legis, inquantum a lege naturae derivatur. Si vero in aliquo, a lege naturali discordet, iam non erit lex sed legis corruptio".

(13) Vgl. hier weiter Sum. Theol. I-II, q. 94, a. 4, ad 2: "... quae sunt naturaliter iusta non sicut principia communia, sed sicut quaedam conclusiones ex his derivatae; quae ut in pluribus rectitudinem habent, et ut in paucioribus deficiunt."

(14) Vgl. a. a. O. noch insgesamt die aa. 4 - 5.

(15) Vgl. Quaestiones disputatae: De Malo, q. 2, a. 4, ad 13: "Dicendum, quod iusta et bona possunt dupliciter considerari. Uno modo formaliter, et sic semper et ubique sunt eadem; quia principia iuri, quae sunt in naturali ratione, non mutantur. Alio modo materialiter, et sic non sunt eadem iusta et bona ubique et apud omnes, sed oportet ea lege determinari. Et hoc contingit propter mutabilitatem naturae humanae et diversas conditiones hominum et rerum, secundum diversitatem locorum et temporum; sicut hoc semper est iustum quod in emptione et venditione fiat commutatio secundum aequivalens; sed pro mensura frumenti iustum est ut in tali loco vel tempore tantum detur, et in alio loco vel tempore non tantum, sed plus et minus"; außerdem vgl. In IV Sent., d. 33, q. 1, a. 1, ad 1.

(16) Der Autor gibt zu, daß er diesem wissenschaftlichen Anspruch wahrscheinlich nicht konsequent gerecht geworden ist.

(17) Vgl. R. M. PIZZORNI, Il diritto naturale dalle origini a S. Tommaso d'Aquino. Saggio storico-critico. Seconda edizione interamente rielaborata, Rom ²1985 (= Collana di Diritto 3), 445.

(18) In jedem Falle scheint es zu weit gegriffen, dem kirchlichen Lehramt vorzuschlagen, sich bezüglich der Einheit als Wesenseigenschaft der Ehe nicht mehr auf das Naturrecht zu berufen, sondern "nur" noch auf das positive göttliche Gesetz, wie es J. F. CASTAÑO, Il Sacramento del matrimonio, Rom ³1994, 89, tut, was auch von THOMAS her sicher nicht mehr gedeckt wäre. MESSNER (7/1984) 547 f. wiederum scheint die Wesenseigenschaften in die Nähe sekundärer Prinzipien des primären Naturrechts zu rücken. Dies alles behandeln wir jedenfalls vom Blickwinkel der Dispensierbarkeit her ausführlicher im III. Kapitel.

(19) Vgl. Sum. Theol. I-II, q. 95, a. 2: "A lege naturali ... potest aliqui derivari ... alio modo, sicut determinationes quaedam aliquorum communium ... Secundo vero modo similis est quod in artibus formae communes determinantur ad aliquid speciale: sicut artifex formam communem domus necesse est quod determinet ad hanc vel illam domus figuram ... Quaedam vero [derivantur] per modum determinationis: sicut lex naturalis habet quod ille qui peccat, puniatur; sed quod tali poena puniatur, hoc est quaedam determinatio legis naturae".

(20) A. a. O., q. 94, a. 2: "Quaedam vero propositiones sunt per se notae solis sapientibus".

(21) MESSNER (7/1984) 370 f.

(22) R. LINHARDT, Die Sozialprinzipien des hl. Thomas v. Aq., 1932, 12 f. (zit. nach MESSNER [7/1984] 372).

(23) Vgl. MESSNER (7/1984) 362, Anm. 4.

(24) Zit. nach MESSNER (7/1984) 330; wobei sich natürlich die Frage erhebt, wann die praktische Vernunft den objektiven Sachverhalt "richtig" analysiert, wann sie "wahr" ist, was diese Arbeit natürlich überschreitet. MESSNER (7/1984) 41, Anm. 9, verweist jedenfalls auf eine wichtige Stelle bei THOMAS, die MESSNER auch Impuls für die richtige Weiterentwicklung der Naturrechtslehre war. THOMAS, der die psychologische (Vernunfteinsicht in Prinzipien) und theologische Seite (ewiges Gesetz) im Naturgesetz so stark betont, setzt nämlich in einer Analyse bei den Zwecken an, und sofort wird ihm damit auch die Zweckrichtigkeit zum Kriterium der Sittlichkeit selbst; so fragt er In II Sent., d. 38, q. 1, a. 1: Utrum sit tantum unus finis rectarum voluntatem, und sagt dazu: eodem ordine res referuntur in finem quo procedunt a principio, eo quod agens unusquisque ordinat effectum suum in finem aliquem; et ideo secundum ordinem agentium est ordo finium; inveniuntur diversi fines proprii, secundum diversitatem entium; res referuntur in finem ultimum communem mediante fine proprio, secundum diversitatem entium; res referuntur in finem ultimum, tamen sunt alii fines proximi, et si secundum illos fines servetur debita relatio voluntatis in finem ultimum, erit recta voluntas. Mit der ihm eigenen Präzszion sagt er dann: actus morales non specificantur a fine ultimo, sed a finibus proximis: hi autem plures diversorum sunt, sicut et finis naturales sunt plures. - Um jedoch nochmals zur Thomasinterpretation UTZ' zurückzukehren, dürfen wir festhalten, daß auch PIZZORNI (²1985) 411 mit seiner Feststellung (nicht zuletzt aufgrund anderer Aussagen in seinem Werk) im Rahmen legitimer Interpretation liegen dürfte, wenn er unter Berufung auf Sum. Theol. I-II, q. 91, a. 1, schreibt: "La legge naturale non è la stessa ragione - il 'lumen rationis' - la quale come tale è capacità di produrre la legge; ma è qualcosa di costituito dalla ragione stessa - il 'dictamen rationis'." Zudem schreibt PIZZORNI (²1985) 449 f. in seiner Thomaszusammenfassung auch noch: "D'altra parte la semplice 'inclinatio' non rivela di per sé le norme del diritto naturale; occore l'azione della 'ratio' che scopra in essa una 'intentio naturae', e pertanto la legge è sempre opera della ragione: 'lex est aliquid rationis' (Sum. Theol., I-II, q. 91, a. 2, ad 3.) ... E THOMAS insiste soprattutto sul modo della conoscenza: la nostra ragione scopre, a poco a poco, le regole di condotta che la ragione divina vi ha posto." (Eindeutschung und Hervorhebung des Namens "S. Tommaso" vom Verf.) Übrigens zitiert der CATECHISMUS CATHOLICAE ECCLESIAE, Nr. 1955, folgende Stelle des hl. THOMAS, In duo praecepta caritaatis et in decem Legis praecepta expositio, c. 1: "Lex naturae 'non aliud est nisi lumen intellectus insitum nobis a Deo, per quod cognoscimus quid agendum et quid vitandum. Hoc lumen et hanc legem dedit Deus homini in creatione'."

(25) Vgl. noch Sum. Theol. I-II, q. 100, a. 11; vgl. auch wieder In V Ethic., lect. 12, n. 1023.

(26) Vgl. Sum. Theol. I-II, q. 91, a. 3: "Ex praeceptis legis naturalis, quasi ex quibusdam principiis communibus et indemonstrabilibus, necesse est quod ratio humana procedat ad aliqua magis particulariter disponenda".

(27) Vgl. MESSNER (7/1984) 388. (So schon ARISTOTELES, eth. Nic. 5,13;1137a 9 - 14.)

(28) Vgl. dazu nun direkt In III Sent., d. 37, q. 1, a. 3: "In rebus naturalibus invenitur triplex cursus rerum. Quaedam enim sunt semper, quae nunquam deficiunt, ex natura hoc habentia ut sint, et impediri non possint: quaedam vero sunt frequenter, quae in paucioribus impediuntur: quaedam vero sunt raro, vel in minori parte. Ea autem quae sunt semper, sunt causa et origo eorum quae sunt frequenter et raro; unde etiam in ea quae sunt semper, reducunter, ut in VI Metaph. (text. 5) probatur; sicut motus caelestes, qui semper sunt, sunt causa et regula motus pluviarum et imbrium, qui ut frequenter currunt eodem modo; et utrique sunt regula et causa casualium motuum, ut inventionis thesauri, vel alicuius huiusmodi, secundum quod homo vel ex pluvia vel ex aliquo huiusmodi, quod ad motum caeli reducitur, habet occasionem fodiendi in agrum, ubi thesaurum invenit. Ita etiam est de legibus, quibus humani motus diriguntur. Quaedam enim sunt leges quae ipsi rationi sunt inditae, quae sunt prima mensura et regula omnium humanorum actuum; et haec nullo modo deficiunt, sicut nec regimen rationis deficere potest, ut aliquando esse non debeat; et haec leges ius naturale dicuntur. Quaedam vero leges sunt quae secundum id quod sunt, habent rationem ut observari debeant, quamvis aliquibus concurrentibus earum observatio impediatur; sicut quod depositum reddatur deponenti, impeditur quando gladius furioso deponenti reddendus esset; et hae leges similantur his quae frequenter in natura accidunt; et ideo directe et immediate ad ius naturale reducuntur. Et ideo Tullius, in I Rhetoricae (vel II De Invent., num. 36), nominat huiusmodi ius a naturali iure profectum. Quaedam vero leges sunt quae secundum se consideratae nullam rationem habere videntur suae observationis; sed rationem huiusmodi nanciscuntur ex aliquibus concurrentibus quae faciunt decentiam observandi; et huiusmodi similantur his quae raro accidunt in natura. Unde sicut illa non reducuntur in causas naturales nisi observato concursu omnium, quibus aliquis rarus eventus accidebat; ita etiam huiusmodi legalia, quae dicuntur positiva iura, reducuntur ad legem naturae non secundum se absolute, sed consideratis omnibus circumstantiis particularibus, quae faciebant decentiam suae observationis"; vgl. auch In III Sent., d. 37, a. 1, a. 4, ad 2: "Iustum naturale est duplex ut supra dictum est (a. 3). Quoddam quod semper et ubique est iustum, sicut hoc in quo consistit forma iustitiae et virtutis in generali, sicut medium tenere, rectitudinem servare, et alia huiusmodi. Quoddam vero est ex hoc profectum, secundum Tullium (in II Rhet. De Invent.); et hoc in pluribus ita contingit, sed potest in paucioribus deficere, ut dictum est: quod contingit ex hoc quod iustum huiusmodi est applicatio quaedam universali et primae mensurae ad materiam difformem et mutabilem" (Hervorh. v. Verf.); vgl. auch Sum. Theol. I-II, q. 95, a. 2. - Mit G. GRANERIS, Contributi tomistici alla filosofia del diritto, Turin 1949, 79 f., können wir nämlich festhalten, daß "il ius (o iustum) naturale non è dunque un blocco perfettamente omogeneo; ammette diversi gradi di naturalità ... Il grado massimo lo ha nella prima regione del iustum naturale, ove essa è intuitiva; il secondo lo ha nella seconda regione del diritto naturale, ove non è piú intuitiva, ma è discorsiva, venendo conosciuta per modum conclusionis, ossia, per deduzione, come nelle scienze; il terzo grado lo raggiunge dove credevamo di non trovarla piú, cioè nel blocco del iustum ex condicto, che è il regno del diritto positivo, ove essa non è piú intuita, né dedotta, ma determinabile, in quanto si presenta come un quid indeterminato, ed attende ulteriore elaborazione dalla legge positiva, operante per modum determinationis" (zit. nach PIZZORNI [²1985] 446 f.).

(29) Vgl. Sum. Theol. II-II, q. 57, a. 2, ad 2: "Voluntas humana ex communi condicto potest aliquid facere iustum in his quae secundum se non habent aliquam repugnantiam ad naturalem iustitiam. Et in his habet locum ius positivum".

(30) Vgl. Sum. Theol. I-II, q. 95, a. 2: "Utraque igitur inveniuntur in lege humana posita. Sed ea quae sunt primi modi, continentur in lege humana non tamquam sint solum lege posita, sed habent etiam aliquid vigoris ex lege naturali. Sed ea quae sunt secundi modi, ex sola lege humana vigorem habent".

(31) Vgl. an diesem Punkt vielleicht D. O. LOTTIN, Le droit naturel chez Saint Thomas et ses predécesseurs, Bruges 1926, 86: "On ne devrait plus restreindre la loi naturelle aux premiers principes; mais on intégrerait dans son domaine tout ce qui, objectivement, est dicté par la raison naturelle, que cette dictée s'énonce sous forme de prémisses ou sous forme de conclusions. Enfin, n'y aurait-il pas lieu d'étudier l'épineuse question de l'indispensabilité du droit naturel d'abord en elle-même, et non premièrement en fonction des difficultés que présentent les textes bibliques?" (zit. nach LECLERCQ [²1933] 59 f.)

(32) A. a. O., q. 100, a. 8: "Intentio autem legislatoris cuiuslibet ordinatur primo quidem et principaliter ad bonum commune; secundo autem, ad ordinem iustitiae et virtutis, secundum quem, bonum commune conservatur, et ad ipsum pervenitur. Si qua ergo praecepta dentur quae contineant ipsam conservationem boni communis, vel ipsum ordinem iustitiae et virtutis; huiusmodi praecepta continent intentionem legislatoris: et ideo indispensabilia sunt ... Sed si aliqua alia praecepta traderentur ordinata ad ista praecepta, quibus determinantur aliqui speciales modi, in talibus praeceptis dispensatio posset fieri; inquantum per omissionem huiusmodi praeceptorum in aliquibus casibus, non fieret praeiudium primis praeceptis, quae continent intentionem legislatoris".

(33) A. a. O., II-II, q. 66, a. 7, ad 2: "Uti re alinea occulte accepta in casu necessitatis extremae non habet rationem furti, proprie loquendo. Quia per talem necessitatem efficitur suum illud quod quis accipit occulte ad sustentandam propriam vitam".

(34) Vgl. a. a. O., I-II, q. 100, a. 8, ad 3: "Praecepta ipsa decalogi, quantum ad rationem iustitiae quam continent, immutabilia sunt. Sed quantum ad aliquam determinationem per applicationem ad singulares actus, ut scilicet hoc vel illud sit homicidium, furtum vel adulterium, aut non, hoc quidem est mutabile; quandoque sola auctoritate divina, in his scilicet quae a solo Deo sunt instituta, sicut in matrimonio, et in aliis huiusmodi; quandoque etiam auctoritate humana, sicut in his quae sunt commissa hominum iurisdictioni. Quantum enim ad hoc, homines gerunt vicem Dei: non autem quantum ad omnia"; vgl. auch a. a. O., a. 8 selbst: "Praecepta autem decalogi continent ipsam intentionem legislatoris, scilicet Dei. Nam praecepta primae tabulae, quae ordinant ad Deum, continent ipsum ordinem ad bonum commune et finale, quod Deus est; praecepta autem secundae tabulae continent ipsum ordinem iustitiae inter homines observandae, ut scilicet nulli fiat indebitum, et cuilibet reddatur debitum; secundum hanc enim rationem sunt intelligenda praecepta decalogi. Et ideo praecepta decalogi sunt omnino indispensabilia".

(35) A. a. O., II-II, q. 104, a. 4, ad. 2: "Praeceptum Abrahae factum quod filium innocentem occideret, non fuit contra iustitiam: quia Deus est auctor mortis et vitae"; vgl. auch a. a. O., q. 154, a. 2, ad 2: "Abraham non peccavit filium innocentem volendo occidere (Gen. 22), propter hoc quod obedivit Deo, quamvis hoc, secundum se consideratum, sit communiter contra rectitudinem rationis humanae".

(36) A. a. O., I-II, q. 100, a. 8, ad 3: "Similiter etiam Abraham, cum consensit occidere filium (Gen. 22), non consensit in homicidium: quia debitum erat eum occidi per mandatum Dei, qui est dominus vitae et mortis. Ipse enim est qui poenam mortis infligi omnibus hominibus, iustis et iniustis, pro peccato primi parentis; cuius sententiae si homo sit executor auctoritate divina, non erit homicida, sicut nec Deus"; vgl. a. a. O., q. 94, a. 5, ad 2: "Naturali morte moriuntur omnes communiter, tam nocentes quam innocentes. Quae quidem naturali mors divina potestate inducitur propter peccatum originale ... Et ideo absque aliqua iniustitia, secundum mandatum Dei, potest infligi mors cuicumque homini, vel nocenti vel innocenti". Es ist wohl hier auch zu bedenken, daß Gott ja wußte, daß es zur Tötung nicht kommen würde, weil alles nur zur Prüfung des Glaubens angeordnet war und Gottes Güte auch das Ersatzopfer bereitstellte, als die Prüfung beendet war.

(37) A. a. O., q. 100, a. 8, ad 3: "Et ideo quando filii Israël praecepto Dei tulerunt Aegyptiorum spolia, non fuit furtum, quia hoc eis debebatur ex sententia Dei."

(38) A. a. O., II-II, q. 104, a. 4, ad 2: "Similiter nec fuit contra iustitiam quod mandavit Iudaeis ut res Aegyptiorum acciperent: quia eius sunt omnia, et cui voluerit dat illa".

(39) Ebd.: "Sicut Deus nihil operatur contra naturam, quia haec est natura uniuscuiusque rei quod in ea Deus operatur, ut habetur in Glossa Rom. 11 [24], operatur tamen aliquid contra solitum cursum naturae; ita etiam Deus nihil potest praecipere contra virtutem, quia in hoc principaliter consistit virtus et rectitudo voluntatis humanae quod Dei voluntati conformetur et eius sequatur imperium, quamvis sit contra consuetum virtutis modum"; vgl. auch a. a. O., Suppl., q. 95, a. 2, ad. 2.

(40) Vgl. auch noch a. a. O., II-II, q. 154, a. 2, ad 2: "Quod homo facit ex voluntate Dei, eius praecepto obediens, non est contra rationem rectam, quamvis videatur esse contra communem ordinem rationis: sicut etiam non est contra naturam quod miraculose fit virtute divina, quamvis sit contra communem cursum naturae"; vgl. dann In IV Sent., d. 33, q. 1, a. 1, ad 1: "Nec tamen talis dispensatio datur contra rationes quas Deus naturae inseruit, sed praeter eas, quia rationes illae non sunt ordinatae ad semper, sed in pluribus esse, ut dictum est; sicut etiam non est contra naturam quando aliqua accidunt in rebus naturalibus miraculose, praeter ea quae ut frequenter solent evenire"; vgl. außerdem C. Gent., III, c. 100: "Quicquid igitur a Deo fit in rebus creatis, non est contra naturam, etsi videatur esse contra ordinem proprium alicuius naturae ... Quicquid a Deo fit in qualibet creatura, non potest dici violentum neque contra naturam ... Non est autem contra rationem artificii si artifex aliter aliquid operetur in suo artificio, etiam postquam ei primam formam dedit. Neque ergo est contra naturam si Deus in rebus naturalibus aliquid operetur aliter quam consuetus cursus naturae habet".

(41) Sum. Theol. I-II, q. 100, a. 8, ad 3: "Et similiter etiam Osee, accedens ad uxorem fornicariam, vel ad mulierem adulteram (Os. 1,2 s.), non est moechatus nec fornicatus: quia accessit ad eam quae sua erat secundum mandatum divinum, qui est auctor institutionis matrimonii"; vgl. auch a. a. O., q. 94, a. 5, ad 2: "Ad quamcumque mulierem aliquis accedat ex mandato divino, non est adulterium nec fornicatio".

(42) A. a. O., II-II, q. 104, a. 4, ad 2: "Similiter etiam non fuit contra castitatem praeceptum ad Osee factum ut mulierem adulteram acciperet: quia ipse Deus est humanae generationis ordinator, et ille est debitus modus mulieribus utendi quem Deus instituit"; vgl. auch a. a. O., q. 154, a. 2, ad 2: "Osee non peccavit fornicando ex praecepto divino. Nec talis concubitus proprie fornicatio debet dici: quamvis fornicatio nominetur referendo ad cursum communem".

(43) C. Gent., III, c. 125; vgl. auch Sum. Theol., Suppl., q. 65, a. 2, sowie PIZZORNI (²1985) 396 f.

(44) MESSNER (7/1984) 119 f., Anm. 1 - weiter heißt es dort: "Theologisch gesehen hätte sich Gott als positivrechtlicher Gesetzgeber, wenn er dem isrealitischen Bundesvolk ein naturrechtliches Idealrecht auferlegt hätte, zu sich selbst in Widerspruch gesetzt, da der fragliche Zustand des Rechtsbewußtseins eine Folge der von ihm auferlegten Folgen der Erbsünde war. Was die vom göttlichen Gesetzgeber angeordneten Grausamkeiten (Töten von Frauen und Kindern feindlicher Völker im Kriege) anbelangt, so ist zu bedenken, daß das Gemeinwohl des alttestamentlichen Bundesvolkes mit seiner besonderen monotheistischen Sendungsaufgabe durch die polytheistische Umwelt aufs Äußerste bedroht war."

(45) Vgl. CASTAÑO (³1994) 88; a. a. O., 510, sind insgesamt sieben aktuell mögliche Fälle angeführt, nämlich unter den nicht konsumierten Ehen (wie schon erwähnt) 1. die Ehe zwischen zwei Getauften (CIC 1983, can. 1142), 2. die Ehe zwischen einem getauften und ungetauften Teil (CIC can. 1142); unter den konsumierten Ehen weiters (und somit) 3. das sog. "paulinische Privileg" (CIC cann. 1143 - 1147), 4. die Möglichkeit, eine der "Ehefrauen" als einzige zu wählen (CIC can. 1148), 5. der Fall des Ungetauften, der nach seiner Taufe mit dem damals ungetauften Gatten wegen Gefangenschaft oder Verfolgung das Zusammenleben nicht mehr wiederaufzunehmen in der Lage ist (CIC can. 1149) sowie 6. und 7. zwei weitere Fälle, die nicht in den CIC 1983 aufgenommen wurden, aber in die kirchenrechtliche Praxis eingeflossen sind und vom Papst mittels der Glaubenskongregation behandelt werden (z. B. in favore fidei tertii).

(46) Für CASTAÑO (³1994) 90 sieht die Sache so aus: "Secondo la dottrina filosofica che sta alla base della concezione teorica della Chiesa sul diritto naturale, cioè, la filosofia scolastica, il diritto naturale primario è accompagnato dalle seguenti caratteristiche: 1) vi è 'semper, ubique et apud omnes', 2) 'numquam deficit', 3) 'dispensari nequit', 4) 'imponitur modo intuitivo ad modum principiorum primorum synderesis'. Oltre questo diritto naturale, esiste ancora il diritto 'non-stricte' naturale o diritto naturale secondario. Le sue note proprie sono: 1) è 'fere semper, fere ubique et fere apud omnes', 2) 'quandoque deficit', 3) 'dispensari potest', 4) 'cognoscitur per facile discursum ab omnibus, et inde ab initio, et ad modum conclusionum immediatarum', 5) proprio per quest'ultima nota, cioè, per l'intervento del discorso della mente umana, tale diritto è ritenuto ius vere humanum." Zur Diskussion der letzten Schlußfolgerung müßte eine eigene Arbeit geschrieben werden.

(47) Ebd., vgl. zur philosophisch-theologischen Natur dieser Vollmacht des Römischen Pontifex mit Bezug auf die Unauflöslichkeit a. a. O., 505 ff.: "La questione non si centra sulla possibilità dell'intervento diretto di Dio, ma nel fatto che nell'Antico Testamento ed attualmente Dio concede la 'dispensa' per mezzo di un altro. Nel Vecchio Testamento, per mezzo della legge di Mosè, attualmente, per mezzo del Romano Pontefice." (505)

(48) Vgl. In IV Sent., d. 33, q. 2, a. 2, sol.: "Respondeo dicendum, quod matrimonium ex intentione naturae ordinatur ad educationem prolis non solum per aliquod tempus, sed per totam vitam prolis. Unde de lege naturae est quod parentes filiis thesaurizent, et filii parentum heredes sint; et ideo, cum proles sit commune bonum viri et uxoris, oportet eorum societatem perpetuo permanere indivisam secundum legis naturae dictamen; et sic inseparabilitas matrimonii est de lege naturae".

(49) Sum. Theol., Suppl., qu. 65, a. 1.

(50) Vgl. In IV Sent., d. 33, q. 1, a. 1, sol.: "Pluralitas ergo uxorum neque totaliter tollit neque aliqualiter impedit primum finem, cum unus vir sufficiat pluribus uxoribus fecundandis, et educandis filiis ex eis natis; sed secundum finem etsi non totaliter tollat, tamen multum impedit, eo quod non facile potest esse pax in famiila ubi uni viro plures uxores iunguntur, cum non possit unus vir sufficere ad satisfaciendum pluribus uxoribus ad votum; et quia communicatio plurium in uno officio causat litem, sicut figuli corrixantur ad invicem, et similiter plures uxores unius viri".

(51) Vgl. a. a. O., ad 8: "Unum virum habere plures uxores non est contra prima praecepta legis naturae, ut dictum est; sed unam uxorem habere plures viros est contra prima praecepta legis naturae, eo quod per hoc quantum ad aliquid totaliter tollitur, et quantum ad aliquid impeditur bonum prolis, quod est principalis matrimonii finis. In bono autem prolis intelligitur non solum procreatio; sed etiam educatio, ut supra dictum est. Ipsa enim procreatio prolis, etsi non totaliter tollitur ... tamen multum impeditur ... Sed educatio totaliter tollitur; quia ex hoc quod una mulier plures maritos haberet, sequeretur incertitudo prolis respectu patris, cuius cura necessaria est in educando".

(52) An dieser Stelle scheint es angebracht, aus dem CATECHISMUS CATHOLICAE ECCLESIAE die Nr. 1960 zu zitieren: "Legis naturalis praecepta clare et immediate ab omnibus non percipiuntur. In praesenti condicione, gratia et Revelatio sunt homini peccatori necessariae, ut religiosae et morales veritates 'ab omnibus expedite, firma certitudine et nullo admixto errore cognosci possint'. (CONCILIUM VATICANUM I, Const. dogm. Dei Filius, c. 2: DS 3005; PIUS XII, Litt. enc. Humani generis: DS 3876.) Lex naturalis Legi revelatae et gratiae fundamentum praebet a Deo praeparatum et Spiritus operi congruens."

(53) MESSNER (7/1984) 547 f.; vgl. a. a. O., 550: "Andererseits dürfte der moderne Staat nicht imstande sein, die Ermöglichung der Ehescheidung ganz zu vermeiden, wenn die Gewissen durch verkehrte Einflüsse in dieser Frage verfälscht worden sind. Je mehr jedoch der Staat die Ehescheidung erleichtert ..., umso weitgehender schwächt er seinen eigenen Lebensgrund, die Familie." Diese Bemerkung scheint jedoch tatsächlich die Zugehörigkeit der Unauflöslichkeit zum sekundären Naturrecht nahezulegen.

(54) Vgl. LECLERCQ (²1933) 59: "Les auteurs du moyen âge y tenaient parce qu'ils trouvaient les termes de droit naturel et de droit des gens chez les auteurs anciens, et qu'avec leur grand respect de la tradition verbale, il leur semblait impossible de laisser tomber des termes usités par ARISTOTELES ou par le droit romain; ils essayaient donc de les concilier en les intégrant dans un système aux distinctions artificielles, avec ses principes du droit naturel d'une vérité immuable et ses principes du droit des gens vrais '... ut in pluribus'."

(55) Sum. Theol. I-II, q. 94, a. 4; vgl. LECLERCQ (²1933) 60, der als profunden Kommentar zu diesem Thomastext besonders SERTILLANGES, La philosophie morale de saint Thomas d'Aquin, Paris ²1922, 152 ff., empfiehlt. MESSNER (7/1984) 317, Anm. 4, notiert allgemein: "Die Tatsache, daß sich mancherlei Ethos- und Rechtsformen finden, in denen einzelne dieser Prinzipien nicht zu der von uns mit unserem heutigen Welt- und Rechtsbewußtsein erwarteten Auswirkung kommen, spricht nicht gegen unsere Erklärung der Wirklichkeit und Erkenntnis des Naturrechts. Wir denken dabei an die Rechtsordnungen mit Sklaverei und an Familienrechtsformen mit Herabwürdigung der Frau. Ethosformen und Rechtsformen sind Ergebnisse längerer Entwicklung, wobei verschiedene Ursachen ... zusammenwirken können, daß das Naturgesetz in seiner Wirkung beeinträchtigt wird. Tatsächlich ist aber die Geltung der elementaren Naturrechtsprinzipien auch in solchen Entwicklungsformen noch erkennbar, wie Augustin z. B. hinsichtlich der Sklavenhaltung bemerkt ...; und was die Polygamie angeht, so kann kaum bezweifelt werden, daß auch in der so entarteten Familiengemeinschaft das Erleben und Erkennen der elementaren Naturrechtsprinzipien in der von uns geschilderten Weise gegeben ist, weil sie sonst als Form menschlichen Zusammenlebens nicht möglich wäre".

(56) An dieser Stelle erscheint es vielleicht passend und interessant, wie nach MESSNER (7/1984) 41, Anm. 9, die Interpretation und Fortbildung der Naturrechtslehre von THOMAS geschehen sollte: "1. durch eine umfassende ontologisch-metaphysische Analyse der menschlichen Natur, 2. durch den Aufweis der der Natur des Menschen innewohnenden Eigenzwecke, 'fines proprii', 3. durch die Deutung des Naturgesetzes nicht nur als Vernunftgebot, sondern auch als Wirkkraft auf Grund der der menschlichen Natur innewohnenden Triebe, vermöge derer sie zur Verwirklichung der ihr gemäßen Naturordnung im gesellschaftlichen Leben gedrängt ist."


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