CHRISTENTUM ALS EINZIG WAHRE RELIGION?
Eine
katholische Klärung zum Spannungsfeld Religion und Wahrheit
von Hochwürden Mag. theol. Dariusz. J. Olewinski,
Priester und Wissenschafter
Stellungnahme zu einer Umfrage der Quartalsschrift CHRISTIANITAS, Nr. 5, eingesandt am 27. September 2000. Gerne nimmt Hw. Mag. theol. Olewinski Kritik und Anregungen entgegen. Es wird um Verständnis gebeten, daß die griechischen Begriffe noch nicht korrekt übertragen werden konnten. - Lies auch den zweiten wissenschaftlichen Beitrag Hw. Mag. theol. Olewinskis über den Glaubensgehalt der Gebete des traditionellen Meßbuches! Padre Alex
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1. Ist Christentum die einzige wahre Religion?
Die Frage greift - mindestens faktisch - den Ausdruck auf, der in den Dokumenten des kirchlichen Lehramtes zum letzten Mal wohl von Paul VI in der Enzyklika Ecclesiam suam (1964) benützt worden ist. Darin bekennt der Papst den Glauben der Kirche, daß es nur eine wahre Religion gibt und diese das Christentum ist. Zugleich fordert der Papst dazu auf, diesen Glauben zu bekennen ("... ea quae nos credimus, oportet manifestemus, videlicet veram religionem esse unam eamque esse christianam, atque spem habeamus fore ut ab omnibus, qui Deum quaerant et adorent, ut talis agnoscatur"). Somit ist die Antwort auf die gestellte Frage bereits gegeben und stets aktuell. Jeder Katholik ist verpflichtet, sie im religiösen Gehorsam des Verstandes und des Willens anzunehmen (vgl. Codex Iuris Canonici, Can. 752). Man kann sie aber einer Hermeneutik unterziehen. In dieser Stellungnahme ist es nicht möglich, die verschiedenen einseitigen Positionen zu erörtern, wie den Exklusivismus des Protestanten K. Barth, den Inklusivismus des K. Rahner, oder den Pluralismus des P.F. Knitter. Ohne die Erwägung auf das Niveau eines Talk-show reduzieren zu wollen, kann ich hier nur grundlegende begriffliche Bemerkungen und einen Umriß einer positiven Antwort unter Hinweis auf wichtigste theologische (biblische. patristische und magisteriale) Quellen bieten. Damit beabsichtige ich nur einen Beitrag zu einer redlichen und fundierten theologischen Diskussion. Zuerst muß man freilich präzisieren, was man unter "Wahrheit", "wahre Religion" und "Religion" überhaupt versteht. Wichtig ist auch die Bedeutung des Wortes "Christentum", denn es ist nicht ganz eindeutig (wohl zum ersten Mal kommt das griechische Wort bei Ignatius von Antiochien, Magn. X vor). Damit meine ich hier nicht die Allgemeinheit von jenen, die sich zu bestimmten Glaubenssätzen bekennen, sondern eben diese Glaubenssätze, die ihrerseits mit kultischer und sittlicher Praxis zusammenhängen. Die anfangs gestellte Frage suggeriert auch einen Zusammenhang zwischen dem Subjekt ("Christentum") und dem Prädikativ ("wahre Religion"). Fangen wir bei diesem letzteren an. Zu bemerken ist, daß der Begriff "Religion" viel Gemeinsames mit dem Begriff "Christentum" hat (so wurde das Christentum spätestens seit dem 4. Jh. als "religio" bezeichnet), denn er umfaßt - mindestens umgangssprachlich - sowohl bestimmtes Volumen von Sätzen als auch kultische Praktiken und moralische Verhaltensweise. Ich zähle auch kultische und moralische Theorien zu dem "Volumen von Sätzen" und unterscheide sie von der Praxis als Umsetzung dieser Theorien. Die Rede von der "wahren Religion" suggeriert außerdem die Beschränkung des Religionsbegriffes auf die Theorie bzw. die Überzeugungen (die nicht immer vollständig der faktischen Praxis entsprechen müssen). Insofern man nämlich die Wahrheit als Übereinstimmung des Gedankens (und ihres Ausdrucks, d. h. des Satzes) mit der Wirklichkeit versteht, dann kann man nicht direkt in demselben Sinne von der Wahrheit einer kultischen bzw. moralischen Praxis sprechen (auch wenn man das Denken als kultische bzw. moralische Tätigkeit versteht, denn nicht jede kultische Tätigkeit oder moralische Verhaltensweise muß Denken bedeuten). Deshalb kann sich die Fragestellung im direkten Sinne nur auf den theoretischen Aspekt des Christentums beziehen, worunter ich ein bestimmtes Volumen von Sätzen bezüglich sowohl der Wirklichkeit wie auch des kultischen und moralischen Verhaltens verstehe (diese Auffassung stimmt übrigens grundsätzlich mit dem objektiven Begriff der Religion in Fr. Reg. Garrigou-Lagrange OP, De Revelatione, Vol. II, Romae/Parisiis 1921, 425, überein). Diese Klarstellung ist insoweit wichtig, da oft das Urteil bezüglich der Praxis der Bekenner einer Religion auf Bewertung dieser Religion als solcher projiziert wird. Mit anderen Worten: tatsächliches Verhalten von Christen (abgesehen davon, ob es mit der Theorie übereinstimmt oder nicht) hat primär keine Relevanz für die Frage der Wahrheit der christlichen Religion (obwohl diese Relevanz sekundär gegeben ist, d. h. als ein Faktum, das mit der metaphysischen, moralischen und kultischen Theorie zusammenhängt, wobei diese Theorie schon dem Urteil hinsichtlich der Wahrheit unterzogen wird). In fortschreitender Annäherung an eine Antwort sind noch zwei Einschränkungen zu machen. Ohne auf den Zusammenhang zwischen der metaphysischen, der kultischen und der moralischen Theorie näher einzugehen, beschränke ich mich nur auf die erstere. Ich merke nur an, daß ich sie als die grundlegende verstehe (was an dieser Stelle nicht bewiesen werden kann und muß). Zweitens: indem ich vom Christentum spreche, meine ich nicht ein konsensuales Minimum von metaphysischen Sätzen, das allen gemeinsam sein könnte, die sich auf Christus berufen, sondern ich verstehe darunter die Fülle der Wahrheit, die von der Kirche Christi auf Erden unter der Leitung des Nachfolgers Petri - speziell in Form von Dogmen - weitergegeben wird. In diesem Rahmen kann es nicht darum gehen, die Wahrheit von einzelnen katholischen Glaubenssätzen zu beweisen, sie mit den Sätzen der anderen (auch der nicht mehr und noch nicht existierenden) Religionen zu vergleichen und so den Vorrang bzw. die Einzigkeit zu bestimmen. Vollständige positivistische Untersuchung von Daten scheint auch letztlich unmöglich zu sein, und zwar angesichts der praktischen Unfaßbarkeit des Materials und wegen seiner Spezifik (obwohl man über die Wahrheit bzw. Unwahrheit von bestimmten Sätzen urteilen kann). Generell unterliegen die religiösen Überzeugungen nicht den Regeln der Verifikation, die in den Naturwissenschaften angenommen sind, da sie die übersinnliche und überrationale Wirklichkeit betreffen (obwohl empirische Daten und rationales Denken für sie von großer Bedeutung sein können). Wir sehen also die Eigenart der Anwendung der Kategorie der Wahrheit auf die Religion: es kann sich nicht um eine Antwort auf (rein) empirisch-rationaler Ebene handeln. Es ist aber eine theologische Antwort zu suchen, die - auch, d. h. nicht ausschließlich - von den Prämissen der Offenbarung ausgeht. Tatsächlich faßt die Bezeichnung des Christentums als die "wahre Religion" (so spätestens seit De vera religione des Augustin, aber indirekt vorhanden bereits bei Cyprian, Ad Demetr. 5) fundamentale Inhalte des Glaubens der Kirche zusammen. In grober Abkürzung kann man sie folgendermaßen skizzieren: Das Christentum ist die einzige wahre Religion in dem Sinne, daß Gott in Christus das und all das geoffenbart hat, was Er den Menschen auf Erden ein für alle Mal offenbaren wollte, und daß das Christentum (sprich: das volle Christentum, d. h. die katholische, vom Papst regierte Kirche) diese Offenbarung bewahrt und weitergibt (vgl. Vaticanum II: Dei Verbum 2.4.8.10). Das bedeutet allerdings nicht, als ob alles, was Christus gelehrt hat, vor Ihm und ohne Ihn ganz neu, unbekannt und fremd wäre. Er hat ja von sich selbst gesagt, nicht dazu gekommen zu sein, "das Gesetz und die Propheten aufzuheben", sondern um sie zu erfüllen (Mt 5,17). Zugleich lehrt Paulus, daß die Heiden "von Natur aus die Werke des Gesetzes erfüllen" (Rm 2,14; vgl. Klemens v. Alex., Strom. I.95,3). Wenn der Evangelist Johannes von Christus als dem "Logos" spricht, durch den "alles geworden ist" (J 1,13), dann ist damit - laut der allgemeinen Lehre der Kirchenväter - auch die "Logoshaftigkeit" der Kreatur gemeint, der Charakter, der stets präsent und erkennbar, im inkarnierten Logos geoffenbart und erfüllt ist. Zu bemerken ist auch, daß bereits schon die Rede vom Logos das Gedankengut des hellenistischen Denkers Filon v. Alexandrien aufgreift. Damit hängt wohl die katholische Lehre von der natürlichen Gotteserkenntnis zusammen (vgl. Thomas v. Aq., S. Th. I, q.2 a.2). In demselben Prolog des Johannes ist auch die Rede vom Logos-Christus als dem Licht, das jeden Menschen, der auf die Welt kommt, erleuchtet (J 1,9). Kyrill von Alex. bezieht diese Worte auf die "Keime der Weisheit", die dem Urvater Adam vom Schöpfer eingepflanzt worden sind, die die Teilnahme an göttlicher Natur bedeuten, und durch die der Logos gewissermaßen schon vor der Inkarnation auf Erden war (In Joan. Ev. l. 1 c. 9). Laut Justin hatten die griechischen Philosophen wie Sokrates, Plato, Aristoteles, und sogar auch die Dichter, Anteil am göttlichen Logos (Apol. II, 10.13), während zugleich nur das Christentum die "wahre Philosophie" sei (Apol. I, 44). All das stützt sich wohl auf die Lehre des Paulus, daß "von der Schöpfung der Welt an wird die unsichtbare Wirklichkeit Gottes - und zwar seine ewige Kraft und Gottheit - als vernunftmäßige durch die Geschöpfe betrachtet" (Rm 1,20). So sagt Augustinus in seinem dogmatischen Hauptwerk, daß die Weisheit zu dem Menschen gesandt war, um mit ihm zu sein noch bevor sie Mensch geworden ist (De Trinitate, IV, 20, 27-28). Ähnlich bezeichnet Vaticanum II Christus "die Quelle aller Wahrheit, Heiligkeit und Frömmigkeit" (Lumen Gentium 67), in dem "die Fülle des religiösen Lebens ist" (Nostra aetate 2), erwähnt aber auch "Keime des Wortes", die in den Traditionen der nichtchristlichen Völker vorhanden sind (Ad gentes 11). Gewisse Nähe des Christentums zur Philosophie hat Kardinal J. Ratzinger in seinem Vortrag auf der Sorbonne (vgl. La Documentation Catholique" vom 2. Jan. 2000) skizziert. Allerdings sprach er von den "Religionen" nicht nur im Sinne der modernen Terminologie (wie ich jetzt tue), sondern im mehr ursprünglichen Sinne (wie etwa bei Cicero, De natura deorum, d. h. mit Verbindung mit der "pietas romana", oder auch bei Thomas v. Aq., der von der "religio" als einer Tugend spricht, vgl. S.Th. II-II, q. 81): als von einem System von Praktiken und Verhaltensweisen, die ursprünglich höchstens mit der Mythologie zusammenhängen, und nicht mit metaphysischen Thesen (wie erst sekundär etwa im Hellenismus seit dem Neuplatonismus und im Hinduismus seit den Upanischaden der Fall ist). Die Mehrdeutigkeit des Wortes "Religion" zeigt sich übrigens auch schon in der Hl. Schrift, wenn etwa Jakobus zur "reinen und unbefleckten Religion" aufruft, die in der Sorge um Waisen und Witwen und in der Freiheit von der "Makel dieser Welt" besteht (Jk 1,27). Ähnlich fordert Paulus zum "vernünftigen Kult" und versteht damit die Hingabe als "lebendiges und gottgefälliges Opfer" (Rm 12,1). Derselbe Apostel lobt an einer anderen Stelle die Athener für ihre "besondere Frömmigkeit", die sich darin ausdrückt, daß sie unter vielen Kultstätten auch einen Altar für den "unbekannten Gott" weihten; dies kommentiert der Apostel mit den Worten: "Was ihr verehrt ohne zu kennen, das verkünde ich euch" (Apg 17,22f). Es wäre freilich zu leichtfertig zu behaupten, daß die Heiden generell schon den wahren Gott verehrten und somit die wahre Religion praktizierten (ob alle Religionen denselben Gott verehren, ist eine eigene und recht komplexe Frage). Denn wir lesen auch die Worte desselben Apostels über die Gottlosen und Ungerechten, daß sie "die Wahrheit Gottes auf Falschheit umgetauscht haben und dem Geschaffenen statt dem Schöpfer Verehrung erwiesen und dienten" (Rm 1,25). Wir sehen also die differenzierte Stellungnahme des Apostels, der die Offenheit für die noch nicht erkannte Wahrheit über Gott lobt, die dieser entgegengesetzte Praxis (d. i. die Vergötzung des Geschaffenen) aber tadelt. Mit anderen Worten: er sieht bei den Heiden gewisse Disposition zur Annahme der Religion des einzigen wahren Gottes, spricht aber auch direkt davon, was mit dieser Religion unvereinbar ist.
2. Kann der Unterschied zwischen dem Christentum und den anderen Religionen mit der Unterscheidung zwischen der übernatürlichen Religion und den natürlichen Religionen richtig beschrieben werden?
Auch hier hängt die Antwort davon ab, was man unter der "Übernatürlichkeit" und "Natürlichkeit" versteht. Letztlich geht es um den Begriff der "Natur", der keineswegs eindeutig ist, vor allem wenn man den patristischen und den (neu)scholastischen Sprachgebrauch vergleicht. Die Kirchenväter haben nämlich oft jede Sünde als widernatürlich aufgefaßt, die Heiligkeit dagegen als naturgemäß, d. h. als der Berufung entsprechend, zu der der Mensch von Gott erschaffen worden ist (vgl. Klemens v. Alex., Paedag. II,10,83; II,12,129; Strom. VII,3,17; VII,15,91; Athanasius, Liber de def.; Gregor v. Nazianz, Orat. II, 25; Doroteus v. Gaza, Didask. I, 4; Maximus Conf., Ambigua ad Thom. 4; Johannes v. Damaskus, De fide orthodoxa II,4; II,30; III,14; IV,20). Wenn in neueren kirchlichen Dokumenten von "natürlichen Religionen" und von der "geoffenbarten Religion" die Rede ist, dann nicht im Sinne eines totalen Widerspruchs, sondern bezüglich der Verschiedenheit der christlichen Religion als jener, die sich nicht bloß darauf stützt, was der Vernunft zugänglich ist, sondern auch darauf, was Gott auf übernatürliche Weise geoffenbart hat (vgl. Vaticanum I: Dei Filius, Cap. 2). Der Unterschied zwischen den "natürlichen" Religionen und dem Christentum besteht also letztlich im Unterschied zwischen Fragmenten der Wahrheit und ihrer Fülle, freilich abhängig davon, inwiefern eine Religion solche Fragmente (neben Falschheit) enthält. Kann man aber die Erkenntnis der Gegenwart und der Wirkung des Logos in der Welt vor der Inkarnation (wovon die oben erwähnten patristischen Zeugnisse sprechen) als "natürlich" bezeichnen? Mit anderen Worten: sind die in den "natürlichen" Religionen anwesenden Fragmente der Wahrheit nicht eine übernatürliche Gabe, da sie von demselben Gott kommen, wenn auch vor seiner Menschwerdung (vgl. Jk 1,17)? Freilich muß man sich vor dem Traditionalismus hüten, der von einer "Uroffenbarung" spricht und die natürliche bzw. rationale Gotteserkenntnis ausschließt (vgl. Ench. Symb. 2811-2814). Dennoch sieht man hier die Schwierigkeit der Bestimmung, was "übernatürlich" und was "natürlich" ist. Viele Kirchenväter (etwa Augustinus, Athanasius, Gregor v. Nazianz, Gregor v. Nyssa, Kyrill v. Alexandrien, Pseudo-Dionysius Areop., Johannes v. Damaskus) haben schon in den Geschöpfen gewisse Bilder bzw. Spuren der göttlichen Trinität gesehen, der Wahrheit also, die auf übernatürliche Weise geoffenbart wurde (vgl. Thomas v. Aq., S.Th. I q.12 a.12 ad2; a.13). Man muß vor allem auf den genauen Sinn der Begriffe im jeweiligen theologischen Kontext achten, um Aussagen miteinander nicht zu vermischen. Übrigens bildet die "natürliche" Zugänglichkeit der christlichen Wahrheit (oder eher ihrer Fragmente) einen wichtigen Aspekt der Gerechtigkeit Gottes, der ja zweifellos jedem Menschen die Möglichkeit gibt, Ihn zu erkennen (mindestens bruchstückhaft), unabhängig davon, ob es einem gegeben ist, das Evangelium Jesu Christi kennenzulernen oder nicht. Wenig trägt zur Lösung der begrifflichen Schwierigkeit der von H. de Lubac SI (Surnaturel) erhobene Einwand, daß die Rede von "natürlicher Religion" als solcher, die der "übernatürlichen" Elemente entbehrt, einen Deismus bedeute. Denn man muß zuerst präzisieren, was man unter "Übernatürlichkeit" versteht, d. h. ob man sie auf die Herkunft, den Inhalt, die Art und Weise der Mitteilung oder der Annahme bezieht. Hier reicht das Problem in den Bereich der theologischen Anthropologie, die bekanntlich in gewissem Ausmaß für theologische und magisteriale Präzisierungen noch offen ist (wie es sich etwa in der neuen katholisch-lutheranischen Erklärung zur Rechtfertigungslehre zeigte). Es lohnt sich aber auch, das faktische Leben der Kirche im Laufe der Jahrhunderte zu berücksichtigen, da es sowohl das christliche Selbstverständnis als auch ständige theologische Prinzipien im Verhältnis zu den anderen Religionen bezeugt. Einen typischen Ausdruck dafür scheinen folgende Worte des Johannes v. Damaskus zu bieten: "Wie die heiligen Väter die Heiligtümer und Tempeln der Dämonen niedergerissen und an ihren Orten Tempeln beim Namen von Heiligen errichtet haben, und wir diese achten, so haben sie auch die Bilder der Dämonen niedergerissen und statt ihrer Bilder Christi und der Gottesgebärerin und der Heiligen errichtet. Und beim alten [Testament] hat Israel zwar weder Tempeln beim Namen der Menschen errichtet noch ein Fest eines Menschen gefeiert, denn noch war die Natur der Menschen unter Fluch und der Tod war Verdammung, deshalb auch wurde getrauert und der Körper des Verstorbenen und derjenige, der ihn berührt hat, wurden für unrein gehalten; jetzt aber, seitdem die Gottheit mit unserer Natur vereinigt ist als ein lebendigmachendes und heilsames Arzneimittel, ist unsere Natur verherrlicht und zur Unvergänglichkeit verwandelt worden." (De sacris imaginibus oratio II, 10) "Die Hellenen haben den Dämonen geopfert, aber für Gott brachte auch Israel Blut und Opferfett dar; auch die Kirche opfert für Gott ein unblutiges Opfer. Für Dämonen haben Hellenen die Bilder aufgestellt, aber auch Israel vergottete die Bilder; denn sie sagten: »Diese sind deine Götter, Israel, die dich aus Ägypten heraufgeführt haben«. Wir aber stellen Bilder für den wahren fleischgewordenen Gott und für Gottes Knechte und Freunde, die Massen von Dämonen vertreiben, auf. " (De sacris imaginibus oratio II, 17; ähnlich in: De fide orthodoxa IV,26) Diese Worte beziehen sich direkt auf den Vorwurf seitens der Ikonoklasten, daß die Kirche mit dem Heiligen- und Bilderkult in den Götzendienst - also ins Heidentum - abgeglitten sei. Ähnlichen Vorwurf hat Martin Luther formuliert, und dies tun bis heute seine Gläubigen. Die berühmte These von der "konstantinischen Wende", mit der die Kirche wegen der Vermählung mit dem Hellenismus angeblich die ursprüngliche Reinheit des Glaubens der apostolischen Zeit eingebüßt hätte, ist besonders seit dem vorigen Jahrhundert wohl tausendfach herausgearbeitet und verbreitet worden, vor allem durch protestantische Autoren. Sie hat auch breite katholische Kreise beeinflußt, was sich etwa als gewisser Archäologismus in der Liturgie (das Bestreben, die urkirchliche - meistens bloß hypothetisch rekonstruierte - Praxis als den letzten Maßstab zu verwenden) zeigte, dem sich Papst Pius XII in der Enzyklika Mediator Dei widersetzte. Mit anderen Worten: der protestantische Vorwurf der Paganisierung bzw. der Hellenisierung der Kirche ist im Grunde ein Element und zugleich eine Konsequenz der lutherischen Lehre von der völligen Verderbnis der menschlichen Natur infolge der Erbsünde und von der Ausschließlichkeit der Gnade auf dem Weg der Erlösung. In solchen theologischen Prämissen kann das Christentum nur in diametraler Antinomie zu den "natürlichen Religionen" und jeder natürlichen Erkenntnis (als den Produkten der völlig verdorbenen menschlichen Natur) erscheinen. So kann jede Ähnlichkeit, wenn auch nur äußerliche, zu den andern Religionen nur als abscheulich betrachtet werden. So läßt sich auch die protestantische Verachtung gegenüber dem Papsttum der Renaissance und allen Elementen der religiösen Kultur, die von der Kirche rezipiert wurden, erklären. Zu denken ist hier an gewisse Formen, die zwar ursprünglich aus dem heidnischen Kult stammen, aber von der Kirche für den Kult des einzigen wahren Gottes angewendet wurden, wie etwa Darbringung von Opfern (wobei die vielfältigen Opfer durch das in der hl. Messe gegenwärtig gesetzte Kreuzesopfer ersetzt wurden ,vgl. Missale Romanum, Dominica VII p. Pent, Secreta), oder rituelle Elemente, wie Weihrauch, aber auch Anfertigung und Verehrung der heiligen Bilder. Während die Protestanten im Namen der Übernatürlichkeit des Christentums alles verwerfen, was irgendwie an die "natürliche" Religiosität erinnert, hat die Kirche nicht gescheut, sie aufzugreifen, indem sie sich etwa im Römischen Kanon (der von Martin Luther besonders verhaßt war) auf das Opfer des heidnischen Priester-Königs Melchisedek berief (vgl. auch Gen 14,18-20; Hb 5-7). Die Schwierigkeit der begrifflichen Unterscheidung der geoffenbarten Religion von den natürlichen Religionen zeigt sich auch in bezug auf den Judaismus und den Mohammedanismus. Die mosaische Religion vor Christus war Vorbereitung auf die Ankunft des Messias und in diesem Sinne eine geoffenbarte (deshalb bezeichnet sie Paulus als "unsere Religion", Apg 26,5). Kann aber der Judaismus, der die Fülle der Offenbarung in Christus ablehnt, als geoffenbarte Religion gelten? So sehen wir die Unzulänglichkeit solcher einfacher Kategorien. Nur scheinbar einfacher verhält es sich mit dem Mohammedanismus, der zwar gewisse Elemente der biblischen Offenbarung übernommen, sie aber auf eigene Art umgewandelt hat. Genügen diese mit dem Christentum gemeinsamen Elemente, um von "geoffenbarten Religion" sprechen zu können, oder haben sie keine Bedeutung mehr, so daß man nur von einer "natürlichen Religion" sprechen kann? Diese Unklarheit hat sich übrigens auch schon in der Patristik gezeigt, als Johannes v. Damaskus in seinem Häresienkatolog die "Religion der Ismaeliten" als den "Vorgänger des Antichrist" nennt (Liber de haer., 100). Wenn der Mohammedanismus zu den "Häresien" gezählt wird, wird er dadurch freilich nicht nobilitiert, sondern ist damit die Ähnlichkeit bzw. Gemeinsamkeit aller religiösen Bekenntnisse jenseits der einzigen von Gott geoffenbarten Religion - der katholischen Kirche - gemeint. Zusammenfassend ist zu sagen, daß es nur eine geoffenbarte ("übernatürliche") Religion gibt im Sinne einer solchen, die die Fülle der dem Menschen auf Erden zugänglichen Wahrheit bewahrt, und daß diese Religion die katholische (vom Papst regierte) Kirche ist. Unpräzise ist dagegen, alle anderen Religionen als "natürlich" zu bezeichnen, denn erstens enthält die geoffenbarte Religion auch Wahrheiten, die natürlich erkennbar sind (neben den Wahrheiten, die auf übernatürliche Weise erkannt wurden); zweitens sind diese natürlichen Wahrheiten, die letztlich auch vom göttlichen Logos stammen, auf die übernatürliche Offenbarung hingeordnet und jeder, der ihnen treu ist, kommt auch der Offenbarung näher und, wenn er ihr begegnet, nimmt sie "logischerweise" als die Fülle dessen, was er zuvor nur fragmentarisch kannte, an (vgl. Vaticanum II: Lumen gentium 8; Unitatis redintegratio 3; Nostra aetate 2). Die katholische Kirche ist dagegen die "natürliche" Religion in dem Sinne, daß sie sowohl die natürliche als auch die übernatürliche Gotteserkenntnis bewahrt, wobei diese letztere eine "logische" Erfüllung (und zugleich Überbietung) der ersteren ist. Desto mehr sind alle anderen Religionen "unnatürlich" in dem Sinne, daß sie nicht die Fülle der Wahrheit vertreten, die der Berufung des Menschen - also der ihm eigentlichen, von Gott beabsichtigten Natur - entspricht.
3. Haben die nichtchristlichen Religionen als solche eine Bedeutung für das Heil bzw. die Verdammnis ihrer Bekenner?
Vor allem kommt mir der Ausdruck "als solche" sonderbar vor. Er ist offenbar dem existentialistisch-heideggerschen Jargon entnommen. Dagegen ist zu bemerken, daß alles Seiende so ist wie es ist, und nicht anders, und eben als solches sich beschreiben läßt (oder nicht), wie etwa hinsichtlich seiner Funktionen. So kann auch eine Religion nur "als solche" und nicht "als andere" Relevanz haben (oder nicht haben), da sie eben eine solche ist und nicht eine andere. Den Hintergrund für die gestellte Frage bildet offenbar die berühmte Sentenz, die seit Cyprian (De catholicae Ecclesiae unitate 6; Epist. 73, 21) und Augustinus (De bapt. 4, 17) bekannt ist, die auch von den Päpsten Bonifaz VIII (Unam sanctam) und Pius IX (Singulari quadam) besonders nachdrücklich verkündet wurde als die Glaubenswahrheit, daß außerhalb der katholischen Kirche kein Heil ist. Diese Lehre hat auch das letzte Konzil bestätigt in den Worten: "Diese pilgernde Kirche ist zum Heil notwendig", wobei es sich um die Kirche handelt, der "voll eingegliedert sind jene, die die Vorschriften der Kirche und alle in ihr eingesetzten Heilsmittel in ihrer Ganzheit annehmen und in ihrem sichtbaren Gefüge mit Christus verbunden bleiben, der die Kirche durch den Papst und die Bischöfe regiert, in der Verbundenheit nämlich, die in den Banden des Glaubens, der Sakramente und der kirchlichen Obrigkeit und Gemeinschaft besteht" (Lumen gentium 14; por. 8). So "könnten nicht gerettet werden jene Menschen, die, obwohl sie wissen, daß die Kirche von Gott durch Christus als notwendig gegründet wurde, trotzdem ihr nicht beitreten oder in ihr ausharren wollten" (Ad gentes 7; vgl. auch Katechismus 846-848). Ganz unbegründet sind also alle Versuche, die Sentenz "extra Ecclesiam nulla salus" im Sinne eines erweiterten bzw. verschwommenen Kirchenbegriffs zu interpretieren: das Konzil spricht ja eindeutig von der Zugehörigkeit zur irdischen, sichtbaren, vom Papst regierten Kirche. Andererseits sind viele patristische Zeugnisse bekannt, die sagen, daß die Katechumenen, obwohl sie noch nicht getauft sind, das Heil erlangen können (vgl. Ambrosius, De obitu Valent. 51-53; Papst Innozenz II, Apostolicam Sedem, in: Ench. Symb. 741). Außerdem sagt Papst Pius IX (Singulari quadam, Quanto conficiamur) bezüglich der Menschen, die sich in unüberwindlicher Unkenntnis in bezug auf die Kirche befinden und sich ohne eigene Schuld außerhalb der Kirche befinden, daß sie das ewige Leben erlangen können. Ähnlich lehrt Pius XII (Mystici Corporis) und der Brief des Hl. Offiziums vom 8. Aug. 1949 erklärt, daß auch ein "implicitum votum" der Zugehörigkeit zur Kirche genügt (Ench. Symb. 3866-3873). Ähnlich verkündet das letzte Konzil, daß diejenigen, die "ohne eigene Schuld das Evangelium Christi und die Kirche Christi nicht kennen, aber mit ehrlichem Herzen Gott suchen und Seinen durch das Gebot des Gewissens erkannten Willen durch Einfluß der Gnade in die Tat umzusetzen bemüht sind, das Heil erlangen können"; denn "die göttliche Vorsehung verweigert die zum Heil notwendige Hilfe denjenigen nicht, die ohne eigene Schuld noch nicht zur klaren Erkenntnis Gottes gelangt sind, sich aber bemühen, nicht ohne die Gnade Gottes, ein rechtschaffenes Leben zu führen" (Lumen gent. 16). Auf den Zusammenhang mit der Wahrheit von der Gerechtigkeit Gottes hat Papst Pius IX hingewiesen, indem er betonte, daß Gott keinen verdammt, der ohne eigene Schuld die wahre Religion nicht kennt (Singulari quadam, Quanto conficiamur; vgl. Ench. Symb. 2865-2867). Die Problematik hat bereits der heidnische Philosoph Porphyrius erkannt. Er hat nämlich die Universalität und Ausschließlichkeit des Heiles in Christus aufgrund der Tatsache in Frage gestellt, daß Er ja erst spät in der Menschheitsgeschichte aufgetreten sei. Augustinus antwortete darauf, daß Christus das Wort Gottes ist, durch das alles erschaffen ist, das aber die unwandelbare Weisheit ist, an der jede vernünftige Seele teilhat, und daß vom Anfang des Menschengeschlechts an alle, die an Ihn geglaubt, Ihn nach Möglichkeit gekannt (sic!) und fromm und gerecht gelebt haben, wann und wo immer sie lebten, zweifellos durch Ihn gerettet wurden (Epist. 102, c. 2, n. 8-10). In seinem historiosophischen Hauptwerk bezeichnet er "als ganz zutreffend die Vermutung, daß auch unter den anderen Völkern [außer dem jüdischen] Menschen waren, denen dieses Geheimnis [die Prophezeiung über Christus] geoffenbart wurde und die zu seiner Verkündigung berufen wurden, sei es seine Gnade besitzend oder ohne diese Gnade"; hierzu nennt der Kirchenvater das Beispiel des "heiligen und wunderbaren Hiob, der der Abstammung nach weder ein Jude noch ein Proselyt war", und so sei in ihm "die göttliche Verfügung" sichtbar, "damit wir durch diesen heiligen Mann erfahren, daß auch unter den Völkern Menschen sein konnten, die Gott gemäß lebten und Ihm gefielen, zum geistigen Jerusalem gehörend" (De civitate Dei, XVIII, 47; vgl. auch: Johannes Chrysost., Hom. de diabolo, III, 7). In diesem Worten ist kein Widerspruch zu den Worten des Apostel Petrus über Jesus Christus, daß "in keinem anderen Heil zu finden ist, denn es ist den Menschen unter dem Himmel kein anderer Name gegeben, in dem wir gerettet werden sollen" (Apg 4,12). Man muß allerdings den Ausdruck "im Namen" entsprechend verstehen, wie ihn auch Augustinus auslegt, daß es nämlich "nicht um den Klang von Buchstaben oder Silben geht, sondern darum, was der Klang bezeichnet, und darum, was man unter diesem Klang richtigerweise und wahrhaft versteht" (Tract. in Joh., 102, 1). Ähnlichen Inhalt haben die Worte des Paulus, der die Christus zum Gebet für alle Menschen aufruft und begründet dies damit, daß Gott "will, daß alle Menschen gerettet werden und zur Erkenntnis der Wahrheit gelangen", denn " einer ist Gott und einer der Mittler zwischen Gott und den Menschen, (...) Jesus Christus, der sich selbst als Lösegeld für alle hingegeben hat" (1Tm 2,1-7). Mit anderen Worten: Gott bietet in Christus allen das Heil an und es gibt keinen anderen Heilsweg. Die Worte Christi von der Verdammnis (Mk 16,15f) beziehen sich nur auf jene, die die Wahrheit zwar erkannt, sie aber nicht angenommen und sich der Kirche nicht angeschlossen haben. An keiner Stelle der Hl. Schrift ist die Rede davon, daß jene, die das Evangelium nicht kennen (und somit auch ungetauft sind), nicht gerettet werden könnten. Entscheidend ist das Verhalten des Menschen angesichts der Wahrheit Christi, auch wenn sie nur teilweise bzw. fragmentarisch, d. h. mindestens in den "Keimen des Logos", erkannt wurde. An diese Regel hält sich auch das Konzil von Florenz (Ench. Symb. 1351): indem es sagt, daß Heiden, Juden, Häretiker und Schismatiker nicht gerettet werden können, beruft es sich auf die Worte Christi aus der Rede über das Jüngste Gericht (Mt 25,41), die sich gegen jene richten, die das allgemeinmenschliche Prinzip der Hilfe für Bedürftige nicht erfüllt haben, also zur Rechenschaft ziehen für etwas, was selbstverständlich und allgemein anerkannt ist, sogar unabhängig von der bewußten christlichen Motivation, die im Nächsten Christus sieht (vgl. Mt 25,31-40). Offensichtlich meint das Konzil also jene, die, obwohl sie angesichts der Wahrheit stehen, sie doch nicht annehmen und außerhalb der Kirche bleiben. Somit ist der spezifisch jüdische Exklusivismus überwunden: das Heil hängt nicht von der Eingliederung ins jüdische Volk und von der Erfüllung der Vorschriften der Torah ab, sondern ist nur an Christus gebunden, der von den Seinen verworfen (J 1,11), von vielen Heiden aber angenommen wurde, angefangen von den drei Weisen aus dem Morgenland, die unter Führung ihres heidnischen Wissens zum Neugeborenen gekommen sind, um Ihm zu huldigen (vgl. Mt 2; Katechismus K.K. 528). Sie wurden übrigens bereits im christlichen Mittelalter als Heilige verehrt (so bis heute in ihren angeblichen Reliquien im Kölner Dom). Man kann noch andere Beispiele von Heiden hinzufügen, wie den Hauptmann von Kafarnaum (Mt 8,5-13), die kananäische Frau (Mt 15,21-28), oder auch den Hauptmann, der die Hinrichtung Jesu geleitet hat und über den der Evangelist sagt, daß er angesichts des Todes Christi "Gott verherrlichte, indem er sagte: dieser Mensch war wirklich ein Gerechter" (Lk 23,47). Dazu zählt auch das Beispiel des ersten Heiliggesprochenen (von Christus selbst), des s. g. guten Schächers am Kreuz (der übrigens der Patron meiner Heimatdiözese ist): dieser hat wahrscheinlich nicht viel von Christus gewußt, hat offenbar auch die mosaische Religion nicht sehr beachtet, hat aber im kritischen Moment der Begegnung mit Christus den Akt des Glaubens und der Reue, eine "Tat der Wahrheit", gesetzt und ist so in den Himmel aufgenommen worden (Lk 23,39-43), freilich nicht aufgrund seiner Verbrechen, sondern kraft der Tatsache, daß er das erkannte Fragment der Wahrheit Christi ergriffen hat. All diese Beispiele bezeugen, daß Gott jedem Menschen die Möglichkeit gibt, mindestens einen - zum Heil notwendigen und genügenden - Bruchteil Seiner Wahrheit zu erkennen, kraft dessen - wenn er angenommen wird - der Mensch gerettet werden kann. Solche Möglichkeit zu leugnen müßte bedeuten, sich mehr oder weniger direkt der protestantischen Doktrin von der Prädestination, der Vorherbestimmung fürs Heil oder Verdammnis, anzuschließen. So wäre auch die Verantwortung des Menschen für seine Lebensentscheidungen geleugnet. Wir sind zur teilweisen Antwort auf die gestellte Frage gelangt: die Möglichkeit der Rettung für Bekenner der nichtchristlichen Religionen hängt von ihrer Bereitschaft ab, die Wahrheit Christi (bzw. ihre Fragmente) anzunehmen. Hier treten aber auch Schwierigkeiten auf. Denn die Auffassung vom Heil als Fortdauern der menschlichen Person in glücklicher Ewigkeit ist ursprünglich nur der biblisch-christlichen Offenbarung eigen. Sogar in der mosaischen Religion (vor Christus) war diese Auffassung sehr diesseitig und zugleich sehr unklar. Die Wahrheit vom ewigen Leben (bzw. der Verdammnis) der Person erscheint deutlich erst mit Jesus Christus, eigentlich mit Seiner Auferstehung, freilich mit gewissem Rückgriff auf alttestamentliche Vorstellungen und Intuitionen (die übrigens ihrerseits gewisse Vorstellungen der "Naturreligionen" aufgreifen). Moderne Religionswissenschaftler versuchen zwar irgendwelche Parallelen oder Analogien im Hinduismus oder Buddhismus zu entdecken. Man muß aber bemerken, daß es sich dort im Grunde nur entweder um Kreislauf der Existenzen oder um Auflösung im Nichts handelt, was mit dem persönlichen und ewig dauernden Glück, mit der im Christentum verheißenen Fülle des Lebens nichts zu tun hat. Sonst ist der Mohammedanismus in eschatologischer Hinsicht eine sonderbare Umarbeitung der biblischen Bilder und Symbole, durchmischt mit ziemlich primitiv-sinnlichen Vorstellungen. Der Judaismus (nach Christus) scheint sich auf die Diesseitigkeit zu konzentrieren. Ähnlich beschränkt sich der Taoismus auf die Philosophie des Alltags und unterscheidet sich diesbezüglich nicht wesentlich vom schlichten Kult der Götzen und Geister der Ahnen (wie im Animismus oder Shintoismus), der darauf ausgerichtet ist, ihre Gunst im Alltag zu gewinnen. Dies ist auch verständlich: wo vom transzendenten und persönlichen Gott dem Schöpfer, von dem alles stammt und der sich um seine Geschöpfe kümmert, keine Rede ist, dort kann es auch vom Glück in Gemeinschaft mit Ihm keine Rede sein. Kann dann jemand, der an den Vorstellungen, die von der christlichen Hoffnung so entfernt sind, mit Überzeugung festhält, trotzdem und gegen diese Überzeugung die christlichen Verheißungen erlangen? Jedenfalls muß man beachten, daß Gott niemand gewaltsam rettet, sondern dem Menschen die Wahl läßt (vgl. Irenaeus, Adv. haer. IV, 37; Kyrill v. Jerus., Catech. VII, 13; Gregor v. Nyssa, Or. catech. XXX-XXXI). Man muß also beide Extreme vermeiden: einerseits die Auffassung, als ob es egal wäre, was man glaubt, und andererseits die Meinung, als ob außerhalb der sichtbaren Grenzen des Christentums nur Falschheit und moralische Verderbnis herrschen würde, was auch keine Möglichkeit auf Rettung bedeuten müßte. Eine spezielle Variante dieser zweiten Auffassung scheint dann gegeben zu sein, wenn es heißt (in der Regel in den lefebvristischen Publikationen, die oft sehr protestantisch klingen), daß Bekenner der nichtchristlichen Religionen "gegen" ihre eigene Religion gerettet werden könnten. Dadurch wird indirekt die Möglichkeit geleugnet, daß in diesen Religionen auch Fragmente der göttlichen Heilswahrheit enthalten sein können (was der gesamten theologischen Tradition der Kirche und auch der Lehre von beiden Vatikanischen Konzilien widerspricht). Es ist zwar offensichtlich, daß die nichtchristlichen Religionen nach Christus als Negation und Opposition zum Christentum entstanden sind und sich entwickelt haben (dies gilt sowohl für den Judaismus nach Christus, als auch für die Religion des Mohammed, aber auch für die modernen Sekten und die ganze New-Age-Bewegung). Trotz dieses beabsichtigten und praktizierten Konkurrenzcharakters oder sogar der Feindschaft kann man nicht ausschließen, daß in diesen Antireligionen Elemente vorhanden sind und (etwa taktisch) angewendet werden, die direkt oder indirekt dem Christentum entnommen sind und die ja trotz Benützung durch die Gegner ihre Wahrheit und Relevanz für das Heil nicht verlieren, sondern vielmehr den Menschen, der ihnen konsequent folgt, zur in der Kirche bleibenden Fülle der Wahrheit und zum Heil führen können. Kurzum: nicht andere Religionen (außer der katholischen Kirche) können heilsrelevant sein, sondern nur die in ihnen (eventuell) vorhandenen "Elemente der Heiligung und der Wahrheit" (Vaticanum II: Lumen gentium 8).
4. Öffnen die nichtchristlichen Religionen den Menschen für Christus oder verschließen vor Ihm?
Die Antwort auf diese Frage ist bereits teilweise erfolgt. Nun ist sie noch zu vervollständigen. Nur "Elemente der Wahrheit" können für Christus öffnen, während Elemente der Falschheit vom Ihm trennen. Inwieweit jemand an einer Religion wegen der in ihr enthaltenen Elemente der Wahrheit und inwieweit wegen der Elemente der Falschheit festhält, läßt sich nicht bestimmen, denn dies liegt in der individuellen Disposition des konkreten Menschen (unabhängig von der evidenten Tatsache, daß viele Religionen als Negation oder mindestens Konkurrenz zur katholischen Kirche entstanden sind). Wie sind in dieser Hinsicht die mohammedanische Praxis des täglichen mehrmaligen Gebets und des alljährlichen Fastens, die Erfüllung des Dekalogs durch einen orthodoxen Juden, die Meditation eines nach Transzendenz suchenden Buddhisten zu beurteilen? Werden die Menschen durch solche Praktiken für Christus geöffnet oder vor Ihm verschlossen? Diese Frage gewinnt noch Prägnanz, wenn man an den Trend unter den Christen denkt, der die transzendente Dimension ihrer Identität eliminiert, die sich etwa in der derzeit sehr vernachlässigten oder gar vergessenen Bußpraxis, in der Erfüllung der Dekalogs (wie etwa im Schutz der ungeborenen Kinder oder in der Unauflöslichkeit der Ehe), im Charakter des pfarrlichen Lebens (das meist vielmehr an Freizeitklubs denn an Gemeinschaft des Glaubens erinnert) äußert. Sind die Erfolge der verschiedenartigen Sekten in den ehemals christlichen Ländern nicht - mindestens teilweise - dadurch bedingt, daß das kirchliche Leben im beträchtlichen Ausmaß auf die horizontale Dimension reduziert wird? Tatjana Goritschewa, eine bekehrte Philosophin, der es gelungen ist, aus der Sowjetunion zu flüchten, erzählt in einem ihrer Bücher mit dem prägnanten Titel "Von Gott zu reden ist gefährlich" von einem Priester, der auf ihre Frage, warum er seine Gläubigen nicht über Gott lehrt, antwortete, daß dann ihm niemand zuhören würde und keiner in die Kirche kommen würde, und daß es deshalb besser sei, Witze zu erzählen... Es sieht also danach aus, daß die Kirche mit doppelter Taktik bekämpft wird: einerseits durch Verdrängen der genuin religiösen Inhalte aus der christlichen Verkündigung und dem kirchlichen Leben, und andererseits durch ihre Übertragung - nach größerer oder kleineren Umarbeitung - in alternative Organisationen, wie verschiedene "Kirchen" oder Sekten. Wenn einer das Christentum nur von Rock-Messen, Kabaret-Predigten und Pfarr-Diskos kennt, dann kann es verwundern, daß er die transzendent-religiöse Dimension des Lebens anderswo suchen wird und sich auch nur mit ihren Surrogaten zufrieden geben wird? Freilich ändert dieser Umstand nichts an der Tatsache, daß diese Religionen als Alternative oder sogar Waffe gegen die Kirche gedacht sind. Sie können aber trotzdem - oder gerade deshalb - einem mehr Religiosität im allgemeinsten Sinne oder eventuell sogar im Sinne von Fragmenten der "Wahrheit und Heiligung" bieten denn offizielle Attrappen des Christentums. Denn jemand, der die Wahrheit in Kirche nicht erkannt hat (z. B. deshalb, weil sie ihm durch die gesellig-unterhaltsame Attrappe verdeckt wurde), aber mindestens an ihren Fragmenten festhält, der kann der Wahrheit (somit Christus) näher sein als jemand, der zwar etwa an pfarrlichen Veranstaltungen teilnimmt, aber nichts von Gott und seinen Geboten hören will.
5. Welche konkrete Phänomene des gegenwärtigen kirchlichen Lebens kann man als symptomatisch für die vom Papst getadelte "relativistische Mentalität" und "Indifferentismus" betrachten?
Der Hl. Vater hat vor der Kongregation für die Glaubenslehre von "gewisser indiffentistischer Mentalität (certa mentalità indifferentistica)" gesprochen, die durch "religiösen Relativismus" gekennzeichnet ist, die man aber "ausschließen muß (si deve escludere)" (L'Osserv. Rom. 29. Gen. 2000, p. 5). Wie es jeder Mentalität eigen ist, handelt es sich um etwas sowohl Offensichtliches wie auch nicht immer leicht Erfaßbares. Der Papst gibt zwar keine Definition an, zitiert nur eigene Worte aus der Missionsenzyklika, wo von den Versuchen, alle Religionen als gleichwertig zu betrachten, die Rede ist. Man wird somit an die Lehre von früheren Päpsten erinnert, wie Gregor XVI (Mirari vos), Pius IX (etwa Singulari quadam und Syllabus), Leo XIII (Libertas), Pius X (Pascendi), oder auch Pius XI (Mortalium animos), wo der Indifferentismus als Auffassung definiert und verworfen wird, nach der man unabhängig vom angenommenen Glauben das Heil erlangen könne. Johannes Paul II spricht allgemeiner vom "Wert", was insoweit hilfreich ist, daß es Mißverständnissen bezüglich der Frage nach Möglichkeit des Heiles für Nichtchristen ausweicht. Der soteriologische Aspekt kommt zwar im nächsten Satz des Papstes, gleich ist aber vom gnoseologischen Aspekt die Rede, von der "Suche der Wahrheit Gottes". Die Bezeichnung "(religiöser) Relativismus" suggeriert außerdem, daß es mehr um die Frage der Wahrheit, d. h. der Übereinstimmung mit der Wirklichkeit (die mit der Vernunft und mittels Offenbarung erkennbar ist), geht. Wenn man heute Äußerungen von Theologen und Katholiken überhaupt hört bzw. liest, kann man sehr oft Sätze antreffen, die einen solchen Relativismus vertreten oder mindestens voraussetzen. Am häufigsten ist es dies dann der Fall, wenn jemand Pluralismus verkündet und Toleranz als höchstes Prinzip aufstellt. Alles, was sich diesem System nicht unterordnet wird als Rückständigkeit, Totalitarismus oder gar Faschismus gebrandmarkt. Im Grunde geht es dabei darum, jede Wertung, d. h. einen Bezug auf elementare Werte wie Gut und Böse, Wahrheit und Falschheit, im Keim zu ersticken. Schon selbst die Rede vom Guten und von der Wahrheit wird als Anzeichen eines monopolistischen Versuchs gedeutet, die Vielfalt zu zerstören, zu der man ja auch das Böse und die Lüge zählen möchte (wobei diese freilich so nicht genannt werden, sondern mit dem Titel der "Andersartigkeit" versehen werden). Es ist auch bemerkenswert, daß die Berufung auf Pluralismus, Toleranz und Andersartigkeit in den Ländern des ehemaligen Ostblocks vor allem von denen am heftigsten praktiziert wird, die zuvor Vollstrecker der sowjetischen Tyrannei gewesen sind. Jetzt vollstrecken sie ebenfalls rücksichtslos das relativistische "Dogma", daß alles relativ sei, freilich außer diesem Dogma. So soll als das oberste Prinzip die Toleranz gegenüber allem gelten, außer gegenüber denen, die laut zu denken wagen, daß ja nicht alle Recht haben können. Dort, wo es noch nicht die ganze pluralistische Palette gibt, unternimmt man alles, um dazu zu führen: in christlichen Ländern werden verschiedenartige Sekten gefördert (so wie etwa in Polen bereits vor zwanzig Jahren begonnen wurde), oder auch andere Religionen angesiedelt (so daß in Europa eine stille Invasion des Mohammedanismus stattfindet). Der "Pluralismus", der im Grunde das ideologische Schwert des Relativismus darstellt, hat auch in die Kirche Eingang gefunden. Der wohl entscheidende Moment diesbezüglich scheint der Verzicht auf die gemeinsame lateinische Feier des römischen Ritus zu sein. Die in den letzten 30 Jahren entstandenen Meßbücher in den Volkssprachen sollten zwar Übersetzungen des Missale Romanum sein, in Wirklichkeit aber unterscheiden sie sich voneinander beträchtlich und manchmal sogar zu dem Grad, daß die kirchliche Identität schwer erkennbar scheint. Außerdem entstehen verschiedene Bewegungen ("movimenti"), die ihre eigenen Bräuche kreieren (meistens unter protestantischen Einflüssen) und sich dadurch manchmal sehr weit sowohl von der Tradition als auch von gängiger Praxis der Kirche entfernen. Nicht selten spalten sie das pfarrliche Leben, infolge dessen viel Energie und Zeit in Reibereien und Konflikten verloren geht und wodurch das christliche Zeugnis beeinträchtigt wird. Zugleich wird sehr oft alleine schon die Anzahl von verschiedenen Gruppen in einer Pfarre als Beweis ihrer "Lebendigkeit" angesehen, wobei die Frage unbeachtet bleibt, ob und inwieweit diese Gruppen am katholischen Glauben festhalten und ihn bezeugen. Auch im Rahmen des populären Ökumenismus wird immer mehr die Anerkennung von Verschiedenartigkeit statt die Suche nach Einheit in der Wahrheit betont, so als ob für die Mitgliedschaft in der Kirche unerheblich wäre, ob jemand den katholischen Glauben annimmt oder nicht. Gegen den Anschein ist die Grenze zwischen dem interkonfessionelle und den interreligiösen Ökumenismus ziemlich fließend: sowohl der eine wie der andere werden populär aufgefaßt und praktiziert als Verzicht auf die Frage nach der Wahrheit und als Suche nach einer möglichst nebulös-schwammiger Formel, die möglichst viele Positionen, auch einander ausschließende, umfassen kann. All das wird unter dem Stichwort des "Reichtums" der Kirche vollzogen, auch unter Berufung auf die Vielfalt der lokalen Traditionen im Altertum oder auf die Verschiedenheit der Orden. In Wirklichkeit aber betreffen die tatsächlichen Unterschiede nicht bloß sekundäre und zweitrangige Erscheinungsformen, sondern meistens die Substanz der kirchlichen Identität selbst. Wenn nämlich jemand die reale Präsenz Christi in der Eucharistie, die Unbefleckte Empfängnis oder den Primat des Papstes leugnet, oder gegen den rechtlichen Schutz der ungeborenen Kinder und für die Legalisierung der Demoralisierung auftritt, dann steckt dahinter vielmehr als die "Vielfalt". In solchen Fällen genügt es nicht, die Toleranz walten und die Meinung gelten zu lassen, auch dann, wenn der Betreffende sich für einen Agnostiker ausgibt (wie kann ein Agnostiker eigene Meinung haben?). Dann verlangt die Liebe zur Wahrheit und zum Nächsten, ihn aus dem Irrtum zu helfen, also gegen die Ideologie des Relativismus und Indifferentismus zu verstoßen.
6. Welche hauptsächlichen Konsequenzen ergeben sich für das individuelle und soziale christliche Leben aus der Wahrheit von der einzigen und universalen Mittlerschaft Jesu Christi?
Außer den Pflichten Gott gegenüber (Gebet, Teilnahme am öffentlichen Gotteskult und Erfüllung der Gebote) und sich selbst gegenüber (Entfaltung und Vertiefung des eigenen Glaubenslebens), muß man auch an die Verpflichtung den Mitmenschen gegenüber denken, nämlich ihnen aus dem Irrtum herauszuhelfen und sie zur Erkenntnis der Wahrheit und zur Teilnahme am Leben der Kirche zu führen. Diese Aufgabe ist sowohl individuell, d. h. in bezug auf einzelne Personen, als auch sozial zu verstehen, d. h. je nach Maß, in dem man den Einfluß auf das Leben der Gesellschaft (der Familie, der Gemeinschaft, des Volkes, des Staates, der Menschheit) hat. Die Verwirklichung kann verschiedene Gestalt haben (hier ist eben der Platz für legitime Vielfalt!), abhängig vom Alter, Stand, Beruf, sozialer Position. Jeder, der von der notwendigen Mittlerschaft Jesu Christi überzeugt ist, wird selbst genug Formen und Gelegenheiten finden, diese Wahrheit in die eigene Lebenspraxis umzusetzen. Die eigentliche Schwierigkeit scheint heutzutage darin bestehen, daß es an dieser Überzeugung weitgehend fehlt, und dafür sind die Lehrer des Glaubens verantwortlich, angefangen von Bischöfen, Seelsorgern und Theologen, bis hin zu Katecheten und Eltern.
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(Padre Alex)